Politik Genossen wollen die SPD verändern

Krefelds SPD-Basis diskutiert über das Für und Wider einer Großen Koalition mit der Union.

Foto: Dirk Jochmann

Nach Harmonie klingt es nicht, aber auf Krawall ist ebenfalls keiner der Sozialdemokraten gebürstet. Selbst die Jungsozialisten (Jusos) argumentieren zwar emotional, aber bleiben dabei inhaltlich bei der Sache. Die Genossen müssen sich entscheiden, ob ihre alte Tante SPD wieder mit der Union auf Bundesebene eine Große Koalition (Groko) eingehen soll.

Bis zum 2. März können sie per Briefwahl abstimmen. Bei der Aussprache in der Geschäftsstelle im Josef-Hellenbrock-Haus, sind knapp 100 Mitglieder zusammengekommen. „Alle kommen zu Wort“, verspricht Krefelds SPD-Chef Ralph-Harry Klaer — der am Ende verrät, dass er für die Groko gestimmt hat. Auf drei Minuten Redezeit müssen sich die Genossen beschränken. Das ist nicht einfach — alle Anwesenden haben eine Meinung zur Groko, was aber nicht heißt, dass sie auch schon wissen, wie sie beim Mitgliederentscheid abstimmen sollen.

Einer bezweifelt überhaupt die Notwendigkeit der Mitgliederbefragung. „Ich habe doch gewählt und wir haben einen Parteivorstand“, sagt Volker Krüger, der seit 50 Jahren in der Partei ist. SPD-Mitglieder, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben und 14-jährige Genossen, die an der Bundestagswahl nicht teilnehmen können, dürften nun mit entscheiden, ob die SPD in die Regierungsverantwortung gehen darf. Das sei bedenklich — eine Minderheitenmeinung an diesem Abend.

Genosse Volker regt sich aber mehr darüber auf, welcher Umgangston mittlerweile in der Partei an den Tag gelegt würde. „Auf die Fresse“, die Kampfansage von Andrea Nahles gegenüber der Union, sei mittlerweile gegenüber den eigenen Leuten die Devise. „Genosse Martin weiß auch nicht, was er da macht. Ich bin verunsichert.“ Abstimmungsverhalten: ungewiss.

Ebenfalls ungewiss ist es für Gerd Pollit, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der über 60-Jährigen, geworden. Er war anfangs für die Groko — nun ist er sich nicht mehr so sicher. „Ich habe noch nicht abgestimmt“, verrät er. Seine AG 60-Plus empfiehlt, mit Ja zu stimmen. Was Pollit vermisst, ist der Blick für die Erneuerung der Partei.

Die gehe mit einer Fraktionsführerin Nahles, die auch Parteivorsitzende werden soll, nicht, meint ein Sozialdemokrat, der sich in der Zwickmühle sieht. Eine inhaltliche Neuorientierung sei dringend nötig, um langfristig — in fünf bis zehn Jahren — eine linke Mehrheit erreichen zu können. Das müsse parallel zur Regierungsarbeit geschehen, denn „in der Opposition werden wir so eine Präsenz nicht haben“ — er stimmt für die Groko.

Das emotionale Durcheinander beschreibt ein älterer Sozialdemokrat, der sich selbst als Karteileiche bezeichnet. Seit fast 50 Jahren ist er Mitglied, doch diese Versammlung ist erst die zweite Veranstaltung dieser Art, die er besucht. „Wenn die das noch einmal machen, dann trete ich aus“ — das war seine erste Reaktion nach der Wahl im September vergangenen Jahres. „Aber wir sind nicht nur für uns da.“ Er stimmt mit Ja.

Das „Kasperle-Theater“ beim Personal geht einem Juso auf die Nerven. „Diese Vereinbarung geht nicht auf die richtigen Themen ein — kein weiter so“, sagt er und fügt ein „No Groko“ hinzu. Ein anderer Juso ist von der Debattenkultur in der Partei enttäuscht. „Da wird zwei Stunden Werbung für die Groko gemacht und danach darf ein Juso-Vertreter 30 Minuten dagegen Reden.“ Den Umgang mit der Basis findet ein anderer Genosse ebenfalls „respektlos.“ Parteichef Klaer ruft die Parole zur Erneuerung aus: „Lasst uns die Partei verändern. Wenn das hier ausgestanden ist.“