Orbroich Güllestreifen im Natur-Idyll

Krefeld. Der Anrufer klingt aufgeregt, als er sich in der Redaktion meldet. Es reiche ihm jetzt, immer wieder werde mitten im Hülser Naturschutzgebiet Orbroich Gülle auf den Wiesen ausgebracht.

Im Naturschutzgebiet in Hinterorbroich werden die Wiesen landwirtschaftlich genutzt — das finden Naturschützer nicht in Ordnung.

Im Naturschutzgebiet in Hinterorbroich werden die Wiesen landwirtschaftlich genutzt — das finden Naturschützer nicht in Ordnung.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

„Kann das denn rechtens sein?“, fragt er. Die Frage ist mit einem Blick in die Satzung schnell beantwortet: Ja, es ist rechtens. Ob es richtig ist, ist eine andere Frage. Grundsätzlich ist das Ausbringen von Gülle im Naturschutzgebiet immer erlaubt, nur in einzelnen Fällen verbietet die Satzung das.

In Orbroich gilt eine Beschränkung von weniger als 40 Kubikmeter Gülle pro Jahr und Hektar. Die Wiese, die der Anrufer uns zeigt, liegt ganz in der Nähe des Restaurants La Terrazza an der B 9. Hier sind deutlich die Spuren des Schleppschlauchverteilers zu sehen, der die Gülle direkt auf den Boden aufbringt. Aber auffällig schwarz sei die Gülle, und sie stinke tagelang. Das sei anders als früher, findet der Anwohner. Auch niederländische Fahrzeuge habe er hier spätabends noch fuhrwerken sehen.

Was auch wiederum nichts Unrechtmäßiges ist. Der Import von Gülle aus den Niederlanden ist ein gutes Geschäft, denn das Nachbarland hat zu wenig Fläche, um die tierischen Nebenprodukte selbst zu verbringen. „Die Einfuhr von Gülle aus anderen EU-Staaten unterliegt der Verbringungsgenehmigungspflicht“, erklärt Claus Repgen vom Fachbereich Tiergesundheit des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). „Das gilt aber nur für unbehandelte Gülle von Klauentieren. Wenn diese pasteurisiert wurde, ist eine Einfuhr auch ohne die Genehmigungspflicht möglich.“

Gülle wird nicht nur für das Düngen von Böden, sondern auch für Biogasanlagen verwendet und ist zunächst einmal ein Handelsgut. Drei Wochen später ist das Gras auf der Wiese tief grün und fast kniehoch. Naturschützer Ernst Schraetz, einer der Mitbegründer des Naturschutzbundes (NABU) Krefeld-Viersen, schüttelt ernüchtert den Kopf. „Wenn es schon im Naturschutzgebiet nur noch um Wirtschaftlichkeit geht, wo ist dann noch Platz für die Natur?“ Viele Wiesen in Orbroich werden landwirtschaftlich genutzt, das Gras wird zu Silage oder Heu verarbeitet.

Und um möglichst viel Ertrag zu erwirtschaften, wird der Wiese zusätzlich Stickstoff in Form von Gülle zugeführt. „Das bedeutet aber, dass nur die besonders dominanten Gräser hier wachsen, für alle konkurrenzschwachen Wiesenkräuter und Pflanzen ist die Eutrophierung zu hoch“, so Schraetz.

Ebenfalls habe der Steinkauz sehr unter den intensiv genutzten ehemaligen Mäh- und Weidewiesen zu leiden — in dem hohen Gras findet er seine Beute nicht mehr. Die Naturschützer versuchen, den Entwicklungen entgegensteuern. Der NABU hat im Bereich Hüls mehrere Wiesen erworben, die sie nicht düngen, nur zwei Mal im Jahr mähen, und das auch erst ab dem 15. Juni. Das nennt sich extensive Nutzung. „Und stellen Sie sich vor, all die Pflanzen meiner Kindheit sind wiedergekommen!“ Schraetz’ Stimme überschlägt sich fast. Der 84-jährige Hülser lebt für den Naturschutz. Er fährt einen Drei-Liter-Lupo und hat als zweiter Krefelder zu Beginn der 1990er Jahre eine Solaranlage auf seinem Dach montiert. Klar sei jedoch: Würde man an den Wiesen gar nichts mehr tun, so würde das Gebiet verwalden. „Die Weidelandschaft ist wichtig für die heimischen Tiere. Nur hat zum Beispiel der Steinkauz in zu hohem Gras große Probleme, seine Beute zu finden.“ Schraetz sorgt sich um die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren, die hier seit etlichen Jahren im Weidegebiet heimisch sind.

Was ist also zu tun in Orbroich? Alle Wiesen der landwirtschaftlichen Nutzung entziehen, damit die Artenvielfalt bleibt? „Den Vorwurf muss ich mir nicht machen.“ Klaus Dalhoff hat einen Pferdehof und bewirtschaftet die besagte Wiese hinter dem La Terrazza. „Die Grasmischungen, die ich säe, beinhalten ja auch Kräuter. Ich brauche die auch für das Heu, das ich herstelle, die sind gut für die Pferde“, betont er. Bei den Wiesen, die für Silage bewirtschaftet würden, sei das Verhältnis von Gräsern zu Kräutern mitunter ein anderes, das stimme. „Aber wir kooperieren doch auch mit der Stadt und dem Naturschutz.

Letztes Jahr haben wir rund 40 Randstreifen mit Blumenmischungen bestückt.“ Die Randstreifenprogramme gehören zum Vertragsnaturschutz, dem sich viele Bauern verpflichtet haben. Ralf Pauelsen, ein Landwirt, der auch Wiesen im Naturschutzgebiet bewirtschaftet, ist nicht wohl bei dem „Bauern-Bashing“, wo am Ende sein Berufsstand immer Schuld hat. „Natürlich gibt es Unterschiede zwischen unseren Wiesen und denen vom NABU“, so der Landwirt. „Für uns vor allen Dingen wirtschaftliche Unterschiede: Der Ertrag, den ich etwa auf düngefreien Wiesen habe, ist so gering, dass sich das Fahren nicht lohnt. Und keiner von uns kann es sich erlauben, unwirtschaftlich zu arbeiten.“ Grundsätzlich stehe er aber der Idee, in Orbroich auf Gülle zu verzichten, nicht ganz ablehnend gegenüber, wenn es denn Ausgleich gäbe. „Ich bin eh der Meinung, dass hier nicht jedes Jahr gegüllt werden müsste.“

Bernd Schleupen, der Sohn des Bauern vom Lefkeshof Werner Schleupen, sieht ein grundlegendes Problem in der neuen Düngeverordnung. „Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Ausfahren von Gülle.“ Jedoch sei es zu leicht, die Auflagen zu umgehen. Manche Höfe, wie seiner, arbeiten mit der sogenannten Hoftorbilanz. Da wird ganz genau dokumentiert, was den Hof verlassen hat und was auf den Hof gekommen ist. Also auch, wie viel Ertrag von den Feldern erwirtschaftet wurde und wie viel tierischer Dünger wiederum auf den Feldern gelandet ist. Dieses Verhältnis muss stimmen. „Aber es gibt auch die Möglichkeit zu schätzen, wie viel Gülle auf die Felder gebracht wurde.“

Und damit auch die Möglichkeit zu behaupten, dass mehr Ertrag von den Feldern kam, als es tatsächlich der Fall war, so dass auch mehr Gülle ausgebracht werden kann als eigentlich erlaubt. „Wir haben bereits das Ministerium mehrfach darauf hingewiesen und hoffen, dass sich bald etwas ändert.“ Und das aus gutem Grund: Die Nitratwerte sind am gesamten Niederrhein zu hoch. Laut Lanuv sind rund 40 Prozent der Grundwasservorkommen im Land so stark mit Nitrat belastet, dass ohne Aufbereitung kein Trinkwasser mehr gewonnen werden kann. Nitrat entsteht aus überschüssigem Stickstoff, der über die Gülle in den Boden gelangt.

Knut Habicht vom NABU vermutet, dass die Errechnung der Güllemenge vieler Bauern zu mechanistisch sei. „Es wird außer Acht gelassen, dass auch über die Luft und manches Wurzelwerk Stickstoff in den Boden gelangt.“ Was sonst alles über die Gülle ins Grundwasser gelange, sei ebenfalls bedenklich. Er sieht die Schuld nicht grundsätzlich bei den Bauern: „Viele Menschen sind nicht bereit, einen vernünftigen Preis für ihre Lebensmittel zu bezahlen. Dass die Bauern jeden Winkel ihres Landes nutzen müssen, um dem Preisniveau gerecht zu werden, ist nachvollziehbar“, so Habicht.

Für Orbroich bleibt die Gretchenfrage: Wie viel ist der Naturschutz hier wert? Drängt die Notwendigkeit so sehr, hier weniger intensiv zu wirtschaften, so müssten die Bauern den Verlust der Flächen ausgleichen können. Der Dank des Steinkauzes allein wird ihnen nicht reichen.