Krefeld Helios-Kinderklinik: Kein Praktikum für Rollstuhlfahrerin

Jill ist enttäuscht: Obwohl die Helios-Kinderklinik barrierefrei ist, gibt es da keinen Platz für die 16-Jährige — weil sie gehbehindert ist.

Foto: Lothar Strücken

Krefeld. Jill-Mara hat einen Herzenswunsch: Die 16-Jährige möchte ein Praktikum auf einer Kinderstation machen. Das Helios-Klinikum Krefeld lehnte das jetzt ab, weil das Mädchen gehbehindert ist. Jill-Maras Mutter Roswitha Keuthen fühlt den Wunsch ihrer Tochter „abgeschmettert“, zumal „die schöne, neue Kinderklinik barrierefrei ist“, wie die St. Huberterin verständnislos sagt — und spricht im Fall ihrer Tochter von „einer Ferndiagnose“.

„Rollstuhl — Ende! Die urteilen einfach und wissen gar nicht, was Jill meistern kann“, sagt Keuthen. Am Telefon habe man ihr mitgeteilt, dass das Mädchen als Rollstuhlfahrerin keine Chance hätte. Die Mutter: „Die Dame sagte: ‚Wir sind uns doch einig, dass ihre Tochter niemals diesen Beruf ausüben wird.’“

Niemals. Bereits vor 16 Jahren hörte Jill-Maras Familie dieses Urteil. Ihre Mutter erinnert sich: „Meine Tochter wurde mit einem offenen Rücken geboren — einer Spina Bifida — und die Diagnose des Intensivarztes lautete, dass sie niemals laufen lernen und stark geistig behindert sein würde.“ Vier Jahre hat die Familie gekämpft. „Jill läuft und ist kognitiv topfit“, freut sich Roswitha Keuthen.

Jill-Mara, die es liebt, sich um Kinder zu kümmern, sagt: „Dass sie mich noch nicht einmal kennenlernen wollten, das hat mich sehr enttäuscht.“ Dabei hat die Schülerin schon jede Menge Erfahrung mit Kindern, denn mit viel Herzblut unterstützt sie Ihre Eltern, die Bereitschaftspflegeltern sind. „Sie wickelt, badet, füttert und beturnt sogar unsere Schützlinge“, sagt Roswitha Keuthen. Dann erhebt sich Jill-Mara aus ihrem Aktiv-Rolli, steht kerzengerade da und läuft einige Schritte durch die Küche.

Die Schülerin der Montessori-Gesamtschule hat bereits erste praktische Erfahrung im medizinischen Bereich, denn sie ist „Schul-Sani“, hat dafür einen Sanitätskurs absolviert. Sie erzählt: „Dort habe ich auch eine Herzdruckmassage gelernt.“ Kürzlich blutete ein Mitschüler am Kopf. „Da habe ich eine Lehrerin hinzugeholt und mit einer Kompresse die Blutung gestoppt“, erzählt die Rollstuhlbasketball-Spielerin und Handbike-Fahrerin.

Als „unverschämt und wie einen Schlag ins Gesicht“ empfindet die Mutter die Stellungnahme des Klinikums: „Wir freuen uns über das Interesse junger Menschen an den verschiedenen Berufen innerhalb des Krankenhauses und bieten gerne im Rahmen eines Praktikums die Möglichkeit, Einblicke zu erhalten und erste Tätigkeiten auszuführen“, betont Kliniksprecherin Julia Dubois. „Zu bedenken ist unter anderem, dass eine examinierte Pflegekraft im Ernstfall auch eine lebensrettende Reanimation durchführen können muss.“ Den Rückschluss, dass ein Rollstuhlfahrer nicht dazu in der Lage sei, findet Roswitha Keuthen „total gemein“.

Ihr Eindruck: „Man will kein Praktikum verschwenden, weil es eh keinen Sinn macht. Hätte ich so gelebt, würde Jill gar nicht laufen“, sagt die Mutter und: „Sie soll dort selbst an ihre Grenzen stoßen oder allen beweisen, dass man niemals jemanden unterschätzen sollte. Ich werde nicht sagen: du schaffst das nicht.“ Immerhin: Für ein Praktikum „in einem der vielen anderen Tätigkeitsfelder“ zeigt sich das Helios-Klinkum offen. Roswitha Keuthen: „Alle sprechen über Inklusion, und dann landen alle Behinderten in der Werkstatt oder hinter dem Schreibtisch und da will Jill nicht hin.“

Michael Becker, Sprecher der Agentur für Arbeit Krefeld, sagt: „Für jugendliche Rollstuhlfahrer stehen dieselben Unterstützungsmöglichkeiten wie für nicht Behinderte offen: ein gefördertes Langzeitpraktikum im Rahmen einer Ausbildungsvorbereitung und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen.“ Zusätzlich stehen laut Becker bei einer anerkannten Schwerbehinderung die Möglichkeiten einer Förderung der Beförderungskosten zum Arbeitsplatz zur Verfügung.