Kostenärger: Tagelang von der Kasse unter Druck gesetzt

Stefan Blassen ließ sich freistellen, um seine Mutter zu versorgen – und stieß auf unerwartete Hürden.

Krefeld. Schneidermeisterin Grete Blassen von der Lerchenstraße ist 79 Jahre alt. Geistig ist sie voll auf der Höhe - aber der Körper der zierlichen Frau macht nicht mehr mit. Osteoporose führte zu drei Wirbelbrüchen und - im Februar - zu einem "stillen" Bruch der Hüfte. Im Juli stieg Grete Blassen von Pflegestufe I direkt in III ab - sie ist multimorbid ans Bett gefesselt. Grund für ihren Sohn Stefan, das im Mai 2008 eingeführte Pflegezeit-Gesetz (PflegeZG) in Anspruch zu nehmen.

Für sechs Monate ist der Sozialarbeiter von seinem Arbeitgeber freigestellt, um einfache Dinge der häuslichen Pflege zu erledigen - die schwierigeren Handgriffe erledigen dreimal am Tag Fachkräfte der Arbeiterwohlfahrt.

Stefan Blassen war perplex, als ihn eine Mitarbeiterin der Krankenkasse anrief, bei der die Mutter versichert ist und die die Krankenversicherungs- und Rentenbeiträge für den pflegenden Sohn übernommen hat.

Die Sachbearbeiterin schlussfolgerte von vier Krankenhaus-Aufenthalten innerhalb von sieben Wochen (von vier bis 14 Tagen) auf "unzureichende Pflege" der Patientin eben durch den Sohn. Stefan Blassen hörte den Begriff "Kosten" und dass diese "eventuell nicht mehr übernommen" würden. "Die Frau hat mich regelrecht überrumpelt", sagt der Sozialarbeiter.

Dann setzte sich Dr. Thomas Zeile ein, Chefarzt der Akutgeriatrie und Frührehabilitation an der Helios-Klinik Hüls. Er kennt Grete Blassen ganz genau, denn sie lag in seiner Abteilung. Die "Ferndiagnose" der Kassen-Mitarbeiterin wurmte den Mediziner ebenso, er griff zum Telefon.

"Auf einmal ruderte die Kasse wild zurück", erklärte er der WZ. Sein Eindruck: "Es ging ausschließlich um die Kosten." Krankenkasse und Rentenversicherung - das sind ein paar hundert Euro im Monat.

Weil ein auf Zeit pflegender Angehöriger in den maximal sechs Monaten seiner Berufsabwesenheit keine Einkünfte hat und auf Erspartes angewiesen ist, hat das PflegeZG nicht gerade einen Boom im Land ausgelöst.

Inzwischen ist Stefan Blassen nach einem 75-minütigen Gespräch mit leitenden Angestellten der renommierten Krankenkasse wieder halbwegs im Reinen. Der WZ wurde der Vorgang als "Missverständnis zwischen Sender und Empfänger" erklärt.

Es gehe darum, hohe Krankenhauskosten beispielsweise durch den Einsatz einfacher Hilfsmittel zu senken. "Wir sprechen mit dem Arzt. Herr Doktor, wie sieht’s aus? Können wir dem Patienten nicht einen Rollator zur Verfügung stellen, wenn er immer wieder hinfällt?" Analysiert werde auch immer mit den Angehörigen, sagt der Abteilungsleiter Leistungen.

Diesen Eindruck hatte Stefan Blassen gerade nicht. Und als er das Kassen-Gebäude verlassen wollte, wurde er gefragt: "Können Sie uns nicht ein Mitglied vermitteln?" Das nennt man offensive Kundenwerbung.