Umwelt und Nachhaltigkeit Die Montagssammler am Rheinufer
Uerdingen · Die Initiative Guerilla Picking befreit jede Woche die Promenade in Uerdingen von Müll. Über kuriose Fundstücke und die Motivation junger Leute.
Es dämmert schon, als sich Kerstin Leverenz von den Steinen am Uerdinger Rheinufer zum Parkplatz am Zollhof schleppt. In der einen Hand hält die 25-Jährige eine vollgepackte Mülltüte, in der anderen eine Greifzange. „Mein Arm fällt gleich ab“, sagt Leverenz und stöhnt. Knapp zwei Stunden war sie mit etwa zehn Mitstreiterinnen und Mitstreitern an der Promenade unterwegs. Sie haben Müll wie Flaschen oder Verpackungen gesammelt.
Jeden Montagabend räumen die vor allem jungen Leute dort auf, wo andere entspannen. Die Sonne scheint auf das Ufer. Der Wind weht vom Fluss und auf der anderen Seite ragt das Duisburger Stahlwerk gen Himmel. Guerilla Picking Uerdingen nennt sich die Gruppe, die möchte, dass die Krefelder das alles ohne Müll genießen können. Binnen weniger Monate hat sich die Gemeinschaft entwickelt.
Zu zweit mit ihrer Freundin Christina Lengwenings startete Leverenz die Aufräumaktion in der Woche nach Karneval. „Uns ist aufgefallen, dass es in vielen Ecken der Stadt dreckig ist“, sagt Lengwenings. Die beiden jungen Frauen wollten etwas unternehmen. Da sie in Uerdingen zur Schule gegangen waren, lag das Engagement am Rheinufer nahe. „Das erste Mal zu zweit sind wir kaum 50 Meter gekommen“, sagt Leverenz. Schon waren die Tüten voll. Im Bekanntenkreis und über die sozialen Medien fanden sie in den folgenden Wochen weitere Helfer.
Mittlerweile müssen sie jeden Montag eine kleine Gruppe koordinieren. Aus dem Kofferraum ihres Autos gibt Leverenz Müllsäcke und Handschuhe aus. „Braucht jemand noch einen Picker?“, fragt sie in die Runde. Immer wieder kann sie Neulinge ausrüsten. Ben Kasten ist zum ersten Mal dabei. „Ich habe den Müll am Rhein immer wieder gesehen. Da dachte ich, ich helfe mal“, sagt der 39-Jährige. „Schön, dass du dabei bist“, sagt Leverenz.
Die Gruppe läuft erst oben vom Parkplatz Am Zollhof über den Deich, dann unten direkt am Fluss. „Es ist erschreckend, dass wir jeden Montag mehrere Säcke voll bekommen“, sagt Lengwenings. Immer wieder sprechen Passanten die Sammler an. Die meisten loben das Engagement. „Ich fände es aber besser, wenn es fruchten würde und man nichts mehr machen müsste“, sagt eine ältere Dame zu Joy Mews, während die 33-Jährige rund um eine Mülltonne sauber macht. Die Dame geht weiter und Mews räumt weiter auf. „Wenn man die Älteren fragt, ob sie mitmachen wollen, kommt häufig ein ‚Aber’“, sagt sie. Die jüngere Generation sei meist aufgeschlossener. Pauschalisieren lässt sich das nicht. Schließlich haben es die Guerilla-Leute schon erlebt, dass Jugendliche sie anpöbeln. Manchmal würden Passanten gleich neben ihnen Müll fallen lassen.
Fast am Ende des oberen Teils der Promenade hievt eine der Montagssammlerinnen ein Staubsaugerrohr samt Aufsatz aus dem Gebüsch. „Trash of the day“, also „Müll des Tages“, rufen die anderen. Kerstin Leverenz fotografiert das Fundstück mit ihrem Smartphone. Ihre Unterstützer haben schon Grills, einen Sonnenschirm und ein Kochfeld in der Natur entdeckt. Diese Hingucker lädt Leverenz auf der Instagram- und Facebook-Seite ihrer Gruppe hoch. „So erreichen wir eine weltweite Community“, sagt Leverenz: „Wenn uns Menschen aus aller Welt auf diesem Weg Danke sagen, merken wir, dass wir mit unserem Engagement nicht alleine sind.“ Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit beherrscht sie, schließlich arbeitet sie hauptberuflich in der Social-Media-Abteilung eines Pharmaunternehmens.
Unten am Ufer wartet die meiste Arbeit auf die Truppe. Die jungen Leute klettern auf die Steine am Rhein. Plastikbecher und Kippenschachteln schmeißen sie in ihre Tüten. Wenige Meter entfernt ziehen die großen Tanker über den Fluss. Groll darüber, dass sie den Unrat anderer wegräumen, zeigt dabei keiner. Leverenz hält mit ihrer Greifzange ein kleines Plastikstäbchen in die Luft. „Guck mal, der böse Strohhalm“, ruft sie ihrer Mitstreiterin Joy Mews zu. Diese knurrt kurz und beide lachen.
Ernst werden sie, wenn es um die juristische Einordnung des Engagements geht. Das Sammeln des Mülls ist in einem rechtlichen Graubereich. Die gut gemeinte Aktion könnte etwa problematisch werden, wenn es auf privaten Grund geht. Deshalb täten sich Stadt und Politik mit aktiver Hilfe schwer, sagt Leverenz. Ihr Verständnis für diese formalen Fragen ist begrenzt. Aufhalten lassen möchte sich eh keiner der Umweltschützer.
In kleinen Schritten mit dem Blick auf dem Boden laufen sie voran. „Heute geht es von der Menge sogar“, sagt Lengwenings. „Stimmt, nur der Kleinscheiß wie Kronkorken ist anstrengend“, sagt Leverenz. „Da vorne ist aber schon ein bisschen was zu tun.“ Sie deutet auf den Grashang, der zum Fluss führt. Schon von Weitem sind Papier und Plastikmüll zu sehen.
Joy Mews ist an diesem Abend mit ihrer Mutter Angelika gekommen. Die 64-Jährige und der 58-jährige Peter Lengwenings sind die mit Abstand ältesten Helfer. „Das hier rettet vielleicht nicht die Welt, aber Greta Thunberg hat auch klein angefangen“, sagt der Mann im karierten Hemd. Er wünscht sich, dass Menschen in anderen Stadtteilen der Uerdinger Idee folgen. „Auch Unternehmen könnten so eine Aufräumaktion initiieren“, sagt er.
Angelika Mews gefällt das Zusammenspiel von Jüngeren und Älteren. „Hier können wir ein Ziel verfolgen“, sagt sie. Und ganz nebenbei sei das Laufen und Bücken ein gutes Workout. „Ich habe auf der Runde alleine 481 Zigarettenstummel aufgehoben“, sagt die engagierte Frau.
Diese und alles andere stellt die Gruppe in Tüten am Zollhof ab. Am nächsten Tag kommen die Leute der Gesellschaft für Stadtreinigung und Abfallwirtschaft (GSAK) und holen das Zeug ab.
Leverenz und ihre Mitstreiter gehen zum Abschluss noch etwas trinken. Werden die ungemütlichen Abende in Herbst und Winter das Aus für die Initiative bedeuten? „Nein“, sagt Leverenz. Stattdessen will sie die Helfer passend ausrüsten, etwa mit Stirnlampen. „Unsere Vision ist, dass sich mehr Menschen ein Beispiel nehmen“, sagt Leverenz. Aus Guerilla Picking Uerdingen solle Guerilla Picking Krefeld werden.