Politik Vier Lehren aus dem Visions-Festival auf Burg Linn
Krefeld · Meinung Die sehr gute Idee eines „Festivals für Meinungsfreiheit und politische Visionen“ hat in wesentlichen Teilen funktioniert. Einige der Politiker hatten allerdings Schwierigkeiten mit dem Träumen.
Es war wirklich ein Festival. Ausgangspunkt des Dienstagabends in der Vorburg war eine sehr gute Idee. Es ging darum, auf einen „Bürgerdialog“ der AfD in der Linner Museumsscheune nicht mit einer Demonstration zu reagieren, sondern zu zeigen, wie vielfältig, kreativ und tolerant Krefeld ist. Dazu wurden Politiker eingeladen, um ihre politischen Visionen als inhaltliches Angebot vorzustellen, und Musiker, um ein fröhliches Fest zu feiern. Die Musiker haben das mehr als geschafft. Mondo Mashup, Huber Schorsch und die kulturpolitischen Sprecher, die Linner Rampensäue und eine bulgarische Tanzgruppe haben das Festival vier Stunden lang mit erstklassiger Stimmung versorgt und einen schönen Gedanken provoziert: Eigentlich sollte ein solches Festival jedes Jahr stattfinden. Den perfekten Ort dafür gibt es auch schon.
Die Krefelder haben es zu ihrem Festival gemacht. Wer am Abend den Blick über die Wiese schweifen ließ, sah das: Ein junger Mann verteilt Flyer für ein „anarchistisches Freiraumprojekt“. Ein weißhaariger Mann tanzt zur Musik von Mondo Mashup. Die Vertreter der „Seebrücke“ und der Bewegung „Fridays for Future“ erinnern an ihre Botschaften. Mitglieder des Löschzugs Linn helfen den Organisatoren. Sie haben an den beiden Eingängen mehr als 1500 Menschen gezählt, die im Laufe des Abends das Festivalgelände besuchten. Neugierig, friedlich, diskussionsfreudig - so hat eine bunte Mischung aus Krefeldern das Festival zu ihrem gemacht.
Das mit den Visionen ist gar nicht so leicht. Inspiration für die politischen Visionen sollte die Rede „I have a dream...“ von Martin Luther King sein. Dabei ging es nicht darum, die Kraft und die rhetorische Meisterschaft des US-Amerikaners zu erreichen, wohl aber dem Prinzip seiner Vision zu folgen. Martin Luther King hat in Zeiten der Rassentrennung und der Gewalt gegen die afro-amerikanische Bevölkerung nicht über die Probleme gesprochen (jedenfalls nicht direkt), sondern über die Lösungen. Er hat sich eine Welt vorgestellt, in der die Probleme seiner Gegenwart beseitigt sind, und konkret beschrieben, wie die Welt dann aussieht.
Schüler und Lehrer des Fabritianum schilderten am Dienstagabend anhand vieler Beispiele, wie stark Homophobie im Alltag präsent ist. Damit lieferten sie wichtige Impulse für mögliche Visionen. Einige der Redner orientierten sich daran beziehungsweise am Prinzip von „I have a dream...“. Sie beschrieben, wie freier Zugang zu Bildung für mehr Chancengleichheit sorgen kann oder wie eine Gesellschaft aussähe, in der Menschen jüdischen Glaubens ohne Angst leben können.
Eine ganze Reihe der Redner blieb aber in der Geschichte oder der Gegenwart hängen. Sie erläuterten, wie früher Einflüsse von außen positiv gewirkt haben, oder kritisierten, dass Anderssein heute nicht normal ist. Aber einigermaßen konkrete Träume oder Lösungen hörten die Zuschauer von ihnen nicht. Das ist übrigens ausdrücklich noch ein Argument für ein Festival im nächsten Jahr mit dem Ansatz aus diesem Jahr.
Das mit der Meinungsfreiheit und -vielfalt ist noch schwieriger. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk wollte auch eine Rede beim Festival halten, Oberbürgermeister Frank Meyer, als Verwaltungschef auch verantwortlich für die städtische Einrichtung Burg Linn, hat dies nicht zugelassen. Die Meinungsvielfalt hat darunter insofern nicht gelitten, als alle, die sich für Gottschalks Gedanken interessieren, die Möglichkeit hatten, in der Museumsscheune eine Rede von ihm zu hören. Gottschalk hat zudem in der Vergangenheit mit intoleranten und fremdenfeindlichen Thesen Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, die keiner Wiederholung bedürfen. Gottschalk hätte während seiner Rede voraussichtlich eine Menge Buh-Rufe und Pfiffe erlebt und auch höchst wahrscheinlich dafür gesorgt, dass die schöne Stimmung des Festivals leidet. Trotz alledem hätte Meyer ihn reden lassen sollen.
Ein Festival im Zeichen der Meinungsfreiheit, bei dem Artikel 5 des Grundgesetztes zu Beginn vorgelesen wird, muss auch Meinungen zulassen, die nicht dem Festival-Konsens entsprechen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind erreicht, wenn der Redner den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt (dann kann man sein Mikrofon abstellen), wenn er sich nicht an die Spielregeln von maximal fünf Minuten Redezeit hält (auch dann kann man ihm das Mikrofon abstellen) oder wenn die Sicherheit des Festivals und seiner Besucher gefährdet ist. Bis zu dieser Grenze aber sollten die Rede zugelassen werden. So sehr einem der Populismus und seine all zu simplen Antworten auf komplexe Fragen widerstreben mögen, gewinnt man durch die Reden auch einen Eindruck, welche Sorgen und Ängste die Populisten bedienen und welche Visionen es noch braucht, um die Wähler wieder für die Parteien diesseits des politischen Rands zu gewinnen.
christian.herrendorf@wz.de