Bildungssystem Wie die Hochschule Niederrhein trotz Corona lehrt
Krefeld · Vorlesungen müssen digital stattfinden. Professor Werner Heister arbeitet so schon seit zwei Jahren. Über die Chancen eines innovativen Modells.
Der erste Anlauf für das Telefonat mit Werner Heister scheitert. Er geht nicht ans Handy. „Ich war noch in einer Videokonferenz“, sagt der Professor für Betriebswirtschaft im Sozialen Sektor als er später zurückruft. Der Wissenschaftler der Hochschule Niederrhein ist momentan gefragt. Aufgrund der Corona-Einschränkungen geht an deutschen Unis kaum jemand davon aus, dass das anstehende Sommersemester in Hörsälen und Seminarräumen stattfindet. Daher müssen die Lehrenden ganz fix bei Online-Lösungen improvisieren. Schließlich soll es Mitte des Monats losgehen – wie auch immer.
Beim „wie“ kann Werner Heister bestens helfen. Seit mehreren Semestern gibt er 95 Prozent seiner Veranstaltungen digital. Daher blickt er mit weniger Furcht als manche Kollegen oder Studierende auf die nächsten Wochen. „Das, was wir erleben, wird hundertprozentig die Zukunft“, sagt Heister. Er hofft, dass sich nun Web-Formate in der Lehre etablieren, die Corona überdauern.
Auch in anderen Fachbereichen überlegen Heisters Kollegen, was nun möglich ist. Die Hochschule baut insgesamt ihre digitalen Lehrangebote aus, um Studierenden trotz Gebäude-Schließung ein Studium zu ermöglichen. Dass es nun in vielen Bereichen klappen kann, ist auch dem vor zwei Jahren gestarteten Projekt „digitaLe – Raum für digitale Lehre“ zu verdanken.
„Das Projekt hat uns einen gewaltigen Entwicklungsschub verschafft. Aber wir sehen jetzt auch sehr gut, wo wir noch besser werden müssen“, sagt Thomas Grünewald, Präsident der Hochschule Niederrhein. Täglich fragen Professoren bei den Mitarbeitern des Projekts nach, wie sie ihre Lehre digitalisieren können. Das Projektteam stellt Möglichkeiten wie Online-Foren oder Webkonferenzen vor.
BWL-Professor Heister kennt sich in diesem Bereich bereits gut aus. Sein Start bei den neuen Formaten war vor zwei Jahren nötig. Aufgrund eines gesundheitlichen Problems konnte er nicht vor Ort arbeiten und musste umstellen. „Die ersten Schritte sind viel Arbeit“, sagt Heister. Denn eine Vorlesung einfach ins Internet zu übertragen scheint nicht ratsam.
Fragen werden im digitalen Hörsaal erörtert
„Wichtig ist, dass die Studierenden die Struktur verstehen“, sagt Heister. Dann können die neuen Abläufe funktionieren. Zunächst müssen die Studierenden vorgegebene Inhalte selbst erarbeiten. Danach treffen sich alle zum festen Termin im digitalen Hörsaal. Da gehe es weniger um die Grundlagen, sondern um Anwendung und Fragen. Eine Vorlesung kann so aussehen, dass Heister die Studierenden vom heimischen Schreibtisch via Video kurz begrüßt. Danach müssen sie einen Text lesen. Heister beantwortet derweil Fragen in einem Chat. Zudem gibt es Online-Übungen. In der Marketing-Veranstaltung haben die Studierenden zum Beispiel zehn Minuten Zeit, synchron einen Slogan für eine Organisation zu entwerfen. Die Lösung schreiben sie in einem Forum auf, Heister moderiert. „Die Beteiligung ist höher als in der Präsenzveranstaltung“, sagt Heister. Unter einem Alias-Namen zu schreiben ist wohl eine geringere Hürde als sich im Hörsaal zu melden.
Diese Konzepte würden auch für große Vorlesungen mit etwa 300 Studierenden funktionieren. Besonders bei der Nachbereitung loben Studierende Heisters Ansatz. Er arbeitet mit sogenannten Nuggets wie Video- oder Audiodateien. In diesen erklärt er Grundlagen, die sich die Studierenden nach der Veranstaltung noch mal anhören können. „Wenn ich einmal erkläre, wie beispielsweise Abschreibungen funktionieren, kann ich das immer wieder nutzen“, sagt Heister. Für die Studierenden ist das ein Vorteil. Sie können besser im eigenen Tempo lernen. „Und sie können den Heister mal stoppen“, sagt der Professor und lacht kurz. Schließlich lässt sich ein Video beliebig anhalten.
Heister sieht in der digitalen Lehre weitere Vorteile für die Zukunft. Studierende könnten sich in diesem Format mehr Wissen selbstständig erarbeiten. So lernen sie nachhaltiger. Zudem kommt es mehr auf die Eigenverantwortung an. „Die Studierenden entwickeln mehr Kompetenzen für das Berufsleben“, sagt Heister. Im Übrigen hat er auch eine Lösung für Prüfungen, die womöglich ausfallen müssen. Die Studierenden könnten etwa innerhalb einiger Tage neue Aufgaben daheim bearbeiten.
Coskun Yilmaz ist einer der Studierenden, die Heisters digitale Veranstaltungen kennen. Nun muss er sich bei weiteren Vorlesungen auf neue Formate einlassen. Yilmaz ist 42 Jahre alt. Er studiert Soziale Arbeit im vierten Semester neben seinem eigenen Job. „Eigentlich habe ich mich auf den Semesterstart gefreut“, sagt Yilmaz. Nun muss er mit Ungewissheit umgehen. Er hatte Sorge, dass das Semester komplett ausfällt. Jetzt ist er zumindest skeptisch, ob sich alle Veranstaltungen von analog auf digital umstellen lassen. „Das kommt sehr aufs Fach an“, sagt Yilmaz. Betriebswirtschafts-Vorlesungen und andere theoretische Inhalte ließen sich sicher online vermitteln. Bei Projektgruppen oder praktischen Sozialarbeits-Seminaren kann sich Yilmaz die Treffen im Internet kaum vorstellen. „So etwas lebt von der Diskussion und der persönlichen Interaktion“, sagt der Student.
Die digitale Lehre habe eben Vor- und Nachteile. Gut sei, dass man bei Veranstaltungen um acht Uhr morgens nicht noch hinfahren müsse, sagt Yilmaz. Bei der Online-Vorlesung heißt es: Bett – Kaffeemaschine – Laptop. Das spare Zeit. Problematisch sei, dass viele den Umgang mit den digitalen Formaten noch nicht beherrschen. Beim Chat mit dem Professor herrsche manchmal Chaos, weil so viele Leute gleichzeitig kurze Nachrichten schreiben. „Das ist so, als würden alle durcheinanderschreien“, erklärt Coskun Yilmaz.
Zudem sorgt er sich bei digitalen Treffen um die Qualität der Betreuung. „Nach der Vorlesung stehen andere Kommilitonen und ich manchmal noch vorne beim Professor, um eine Frage zu klären“, sagt Yilmaz. Er hofft, dass das möglich bleibt.