Junges Krefeld Wie junge Leute Krefeld prägen

Krefeld · Es gibt einige Gründe, den Krefelder Hauptbahnhof scheußlich zu finden. Unser Autor erklärt, warum er trotzdem ein ganz besonderer Ort ist.

 Die Krefelderin Kerstin Leverenz sammelt am Rheinufer in  Uerdingen Müll ein. 

Die Krefelderin Kerstin Leverenz sammelt am Rheinufer in  Uerdingen Müll ein. 

Foto: Andreas Bischof

Guten Morgen,

würden Sie Krefeld als junge Stadt bezeichnen? Ja? Nein? Ich vermute, dass wir bei einer Abstimmung ein eindeutiges Bild hätten. Ein Mini-Winz-Bruchteil würde wohl für „Ja“ stimmen, eine Mehrheit vermutlich für „Nein“. Unter junger Stadt versteht man doch etwas anderes. Münster zum Beispiel – die Stadt von Fahrrädern und Studierenden, Studierenden und Fahrrädern. Oder Würzburg, wo die jungen Leute an Sommerabenden entlang des Main sitzen.

 Nils Peter, Daniel Bayen, Nikolai Trabert (v.l.) in ihrem  Second-Hand-Laden an der Lohstraße 118.

Nils Peter, Daniel Bayen, Nikolai Trabert (v.l.) in ihrem  Second-Hand-Laden an der Lohstraße 118.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Aber Krefeld? Bei uns ist es gefühlt nicht so jung. Klar, da ist die Hochschule irgendwo im Krefelder Süden. Aber viele, die dort studieren, studieren eben dort – und pendeln dann schnell wieder weg. Das Freizeitangebot in der Stadt ist schließlich begrenzt, was etwa Bars und Kneipen für junge Erwachsene angeht. Hier gibt es Kneipen, die Klause heißen, und oft so altertümlich anmuten wie ihr Name. Klar, das hat sein Publikum und seine Berechtigung. Nur macht es die Stadt eben nicht jünger.

Junge Städte stehen oft auch für Fortschritt. Was war der letzte Trend, bei dem Krefeld vorne dabei war? Was kommt Ihnen da in den Sinn? Mir fällt, überspitzt gesagt, nach Samt und Seide nicht mehr viel ein. Danach kam vielleicht noch Bubble Tea. Sie erinnern sich an diese süße Plörre mit den kleinen Gelee-Kugeln unten drin? Vor ein paar Jahren war das Zeug ziemlich hip – und für kaum mehr als ein Jahr tauchten in Ladenlokalen in der Innenstadt Bubble-Tea-Fachhändler auf. Es waren nie da gewesene Werte auf der Bubble-Tea-Skala. Womöglich kommt der Trend nun sogar mit Neueröffnungen in die Innenstadt zurück – naja.

Kurz um: So sonderlich jung, innovativ und frisch kommt Krefeld oft nicht daher. Das könnten wir hinnehmen oder darüber meckern. Ich möchte mit Ihnen einen anderen Weg gehen. Denn ich bin überzeugt, dass Krefeld das Zeug zu einer jungen Stadt hat. Ich gehe sogar weiter: Schon heute ist Krefeld deutlich vitaler als eine Aktionärsversammlung bei der Deutschen Post.

Während meiner Arbeit hier in Krefeld habe ich immer wieder junge Leute im Sport, im Geschäftsleben oder beim gesellschaftlichen Engagement kennengelernt. Mal sind das junge Menschen, die gerade aus der Schule raus sind, mal sind sie Mitte zwanzig oder fast 30 Jahre alt. Alle haben sie eins gemeinsam: Sie verfolgen hier in Krefeld ihre Ideen und Ideale. Krefeld ist dabei für sie alles andere als eine Strafe.

Ein paar dieser Begegnungen möchte ich Ihnen schildern. Folgen Sie mir etwa an den Rhein in Uerdingen. Dort haben die jungen Frauen Christina Lengwenings und Kerstin Leverenz vor gut einem Jahr die Initiative „Guerilla Picking Uerdingen“ gestartet. Erst sammelten sie zu zweit bei sich am Rheinufer den Müll, den andere in die Natur geschmissen haben. Rasch kamen mehr Helfende dazu. Bis heute ist die Gruppe aktiv und kümmert sich. Als ich das junge Team im vergangenen Sommer zum ersten Mal besucht habe, war ich begeistert. Guerilla Picking bringt das Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsthema ganz praktisch in die Stadt. Das ist gut und das Durchhaltevermögen bewundernswert. Denn jedes Mal finden Lengwenings, Leverenz und ihre Helfenden den gleichen Mist in der Natur: Tüten, Kippen, Plastikbecher.

In einem anderen Bereich lernen Sie Mathias Perey kennen. Der Krefelder ist Scout im Profi-Handball. Manch einer mag stutzen, wenn ein nicht mal 25-Jähriger im Sakko über Spielerverträge referiert. Doch das passt. Perey kennt sich aus, hat seine Vorstellungen vom Sport und ein Gespür, was gerade junge Sportler brauchen. Mir gefällt, dass er das selbstbewusst vertritt und in eine Welt, in der die meisten Akteure in der Regel älter sind, vordringt.

Erst kürzlich habe ich die Gründer von „Strike“ kennengelernt. Das Team, in dem alle jünger sind als 21 Jahre, verkauft coole Second-Hand- und Retro-Klamotten im eigenen Laden. Gerade die Geschichte des 19-jährigen Daniel Bayen, der das Gesicht der Gruppe ist, ist auf den ersten Blick ein Mutti-Albtraum. „Junge, lern doch erstmal was Vernünftiges.“ Das ist nichts für ihn. Statt Ausbildung oder Studium will er durch sein eigenes Unternehmen lernen. Das ist mutig, kreativ und hat beim Blick in den urban gestalteten Laden an der Lohstraße Potenzial. Vor allem tut es der Innenstadt gut. Die Diskussion über die Aufenthaltsqualität im Zentrum Krefelds ist so sicher im Kalender wie Weihnachten, Ostern und die Samba-Fahrt der KEV-Fans. Das Team von „Strike“ macht und schafft mit viel Engagement ein Angebot für junge Menschen in der Stadt. Inzwischen hat „Strike“ sogar eine zweite Filiale in Düsseldorf – eine Idee „Made in Krefeld“ soll auch die Nachbarn überzeugen.

Etwas länger gibt es schon das Team der „Weltenweberei“. Das sind vier junge Leute, die am Computer virtuelle Welten für Unternehmen, Museen und andere Einrichtungen animieren. Vom K2-Tower aus bringen sie ihr Start-up voran und engagieren sich für eine Gründerszene in der Stadt. Die Weltenweber beweisen, dass Gründer nicht nur eine Chance für die Metropolen wie Köln oder Berlin sind. Diese Städte stehen freilich mehr als Krefeld für junge Digital-Unternehmer, die auf italienischen Rennrädern in Coworking-Spaces düsen – das sind Großraumbüros für Selbstständige mit freier Platzwahl, Sitzsäcken und Cappuccino-Automat. In Krefeld gibt es wie im K2 noch mehr bezahlbaren Platz für Start-ups. Die Weltenweber zeigen, dass man sich auch von hier aus entwickeln kann.

Womöglich hat Ihnen unser kleiner Streifzug verdeutlicht, dass in der Stadt durchaus junge Leute mit guten Ideen unterwegs sind. Ich finde, das sollten wir stärken. Es wertet das Bild einer Stadt auf. Gerade über die Hochschule Niederrhein ist Potenzial da. Politisch könnte man etwa mehr dafür tun, die Hochschule und ihre Studierenden stärker ins Stadtleben zu holen. Passenden Wohnraum schaffen, Vermieter mit Studierenden in Kontakt bringen – das könnte mehr junge Leute auch zum Leben in Krefeld bewegen. Besonders dem Südbezirk um die Hochschule täte das sicher gut. Womöglich würden Studierende mit guten Ideen bleiben – und aus unserem Streifzug würde ein kleiner Roman mit spannenden Begegnungen.