Krefelder beweisen dramatisches Insektensterben

27 Jahre lang sammelt der Entomologische Verein Krefeld bundesweit in 63 Gebieten Insekten und dokumentiert die jährliche Menge.

Foto: Entomologischer Verein Krefeld

Krefeld. Die Insekten-Population ist in den vergangenen 27 Jahren um knapp 80 Prozent zurückgegangen. Paul Nothers, diplomierter Landwirt, passionierter Jäger und Bundesverdienstkreuzträger, hat schon vor drei Jahren lautstark vor dem Insektensterben und den Folgen für ganze Ökosysteme durch den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden, allen voran Neonikotinoide und Glyphosat, gewarnt. Seit vielen Jahren beobachtet der 84-jährige Orbroicher mit großer Sorge die Abnahme der Insekten. Sie sind nicht nur Bestäuber im Obst- und Gemüseanbau, sondern sie beseitigten auch Schädlinge, zersetzten Aas, Totholz oder Kot.

Eine brisante Veröffentlichung im Fachmagazin „Plos One“ von Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden liefert jetzt den Beleg, dass der von Nothers beobachtete Schwund nicht nur einzelne Standorte wie in Orbroich in Hüls betrifft, sondern ein größerflächiges Problem in Deutschland ist. Bislang waren verlässliche Daten rar. Das ist nun anders.

Caspar Hallmann von der Radboud University in Nijmegen (Niederlande) und seine Mitarbeiter haben über Jahre nun Daten ausgewertet, die seit 1989 vom Entomologischen Verein Krefeld unter anderem auf dem Grundstück von Paul Nothers gesammelt worden waren. Die ehrenamtlichen Insektenkundler hatten in insgesamt 63 Gebieten mit unterschiedlichem Schutzstatus in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg sogenannte Malaise-Fallen aufgestellt. Das sind zeltartig aufgestellte Netze, in denen Fluginsekten in einen Sammelbehälter geleitet und getötet werden.

Die meisten Standorte wurden nur in einem Jahr des Studienzeitraums untersucht, einige in zwei, drei oder vier Jahren. Die Fallen wurden innerhalb einer Saison in regelmäßigen Abständen geleert. Für die Analyse wurde jeweils die Gesamtmasse darin gefangener Insekten bestimmt. Dann verglichen die Forscher, wie sich in einzelnen Lebensräumen — etwa in Heidelandschaften, Graslandschaften oder auf Brachflächen — die Biomasse über die Zeit verändert hatte.

Insgesamt landeten 53,5 Kilogramm wirbellose Tiere in den Fallen — Millionen Insekten. Die Auswertung hat gezeigt, dass im Verlauf der vergangenen 27 Jahre die jährliche Gesamtmasse im Mittel um etwa 76 Prozent abgenommen hat. Am stärksten war der Verlust im Hochsommer, wenn eigentlich die meisten Insekten herumfliegen. Er betrug knapp 82 Prozent. „Ein Schwund wurde bereits lange vermutet, aber er ist noch größer als bisher angenommen“, sagte Erstautor Caspar Hallmann.

Vermutlich spiele die intensivierte Landwirtschaft samt Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln sowie der ganzjährigen Bewirtschaftung eine Rolle, erklären die Forscher. Untersucht haben sie dies aber nicht. Fast alle Untersuchungsstandorte (94 Prozent) waren von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben. Es sei denkbar, dass Insekten in den Schutzgebieten zwar zunächst gediehen, die Insekten dann aber auf den angrenzenden Ackerflächen verschwänden, heißt es.

Nothers appelliert, nicht den Landwirten alleinig dafür die Schuld zu geben: „Für die ist es schwierig, ohne neue Produkte der großen Chemiefirmen den Einsatz von Pestiziden und Herbizden zu reduzieren. Deren frühere Monopolstellung, wie beispielsweise bei Glyphosat, ist eine große Geldeinnahmequelle.“

Ein weiteres Problem sei, dass es für die neuen Chemikalien noch keine Grenzwerte gebe. „Dabei werden sie schon in ganz geringen Mengen wirksam.“ Die geringste Dosis sorge bereits dafür, dass Bienen ihren eigenen Stock nicht mehr finden und langsam, aber sicher deshalb sterben. Neben entsprechenden neuen Grenzwerten und Verboten werde deshalb das Greening in der Landwirtschaft umso notwendiger. Bei Thomas Vennekel in Hüls und bei Nothers in Orbroich sind viele neue Blühstreifen an Acker- und Straßenrändern angesetzt worden. Die helfen zumindest dabei, dass Insekten den kahlen Winter überleben.