Ausstellung im Kunstverein: Gefühle hinter exakten Linien
Im Kunstverein zeigt Oliver Kruse Plastiken und Zeichnungen, die erst auf den zweiten Blick ihre wahre Qualität offenbaren.
Krefeld. Skulptur? Architektur? Oder einfach ein Möbelstück? Für Oliver Kruse sind die Übergänge fließend. Im Krefelder Kunstverein, wo heute Abend um 19 Uhr eine Ausstellung mit Werken des Künstlers eröffnet wird, steht man vor zwei massiven Holztischen. Darauf stehen große Plastiken aus hellem Feinzement und Aluminium, perfekt geformt, aber auch etwas seelenlos.
Ähnliches gilt für die vielen Zeichnungen, die per Computer entstanden sind. Für Kruse, der auch viel mit der Hand zeichnet, ist der Computer jedoch nur ein "digitales Werkzeug", mit dem er exakte Linien und Formen erstellen kann. Hier wird der Einfluss von Kruses Lehrer Erwin Heerich sichtbar, den Ausstellungskurator Peter Kastner als "Erfinder der exakten Zeichnung" bezeichnet.
Mit Heerich verbindet Kruse auch die Beziehung zur Museumsinsel Hombroich, wo von beiden Künstlern Bauten zu finden sind. Darüber hinaus hat Kruse seit 1994 ein Atelier auf der benachbarten Raketenstation.
Emotionslos findet Kruse seine Kunst keineswegs. Als Gegenbeispiel weist er auf den Bilderzyklus mit einem Vogelkäfig hin. Anregung war für ihn eine Heerich-Zeichnung, die ihn zutiefst berührt hat. Aus der zweidimensionalen Seitenansicht eines Vogels im Käfig entwickelt er Blatt für Blatt eine zunehmend plastische Gestaltung.
Auf dem letzten Bild ist der Käfig voluminös geworden, der Vogel befindet sich außerhalb seines Gefängnisses. Es gibt ihn auch als Wandrelief, in Gusstechnik gefertigt.
Dieses Ausloten von Zwei- und Dreidimensionalität, das Erdenken von Formen und ihre Umsetzung in sichtbare Volumina - das kennzeichnet Kruses Arbeiten und macht sie schwer zugänglich. Genaues Hinsehen ist erforderlich, wenn der Künstler bei einer aus kleinen Kugeln zusammengesetzten Form auf die Zwischenräume hinweist, in denen bereits eine neue Form steckt. Auf einem Computerbild hat er sie sichtbar gemacht.
Die Ausgangsplastik selbst hat er in ein nach beiden Seiten offenes Regal aus Birkensperrholz gestellt, das bereits selbst eine plastische Form darstellt. So vermischen sich immer wieder die Ebenen. Man sollte sich als Betrachter die Zeit nehmen, den Dingen genauer auf den Grund zu gehen. Dann wird man hinter der Emotionslosigkeit der exakten Linie eine andere Dimension entdecken - und vielleicht ein anderes Verständnis vom traditionellen Begriff "Gestaltung" bekommen.