Kultur Bewegende Premiere: Reise in die armenische Geschichte

„Eine Schiffsladung Nelken für Hrant Dink“ in der Fabrik Heeder überzeugt. Der Namensgeber wurde 2007 ermordet.

Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Die Reihe „Außereuropäisches Theater“ des Stadttheaters ist bekannt — dieses Mal ist sie für einen tiefgründigen, bewegenden und auch sehr besonderen Bühnenabend gut. In der Fabrik Heeder kam „Eine Schiffsladung Nelken für Hrant Dink“ der armenischen Schriftstellerin Anna Davtyan zur Uraufführung. Das Publikum im ausverkauften Haus dankte mit einem „stillen“ Applaus, der Bewegung und Anteilnahme zeigte. Denn in „Hrant Dink“ wird die armenische Geschichte verhandelt, am Beispiel des Menschen Dink, versehen mit viel Information und viel Emotion. Die recht junge Autorin Anna Davtyan lebt in Jerewan — früher Eriwan genannt. Sie hat 2012 eine zweisprachige Gedichtedition (Armenisch und Englisch) veröffentlicht, übersetzt Texte aus dem Englischen in ihre Muttersprache.

Dass sie lyrisches Talent besitzt, merkt man ihrem Stück an: Sie hat den Stoff zu „Hrant Dink“ mit der Regisseurin Zara Antonyan besprochen, auf Reisen durch Westarmenien (also Türkei) recherchiert und dann ihren Text geschrieben, der kein Drama im klassischen Sinne geworden ist. Sondern eine komplexe Sammlung von Momenten und Aspekten, von Stimmungen und Gefühlen. In Prosa formuliert und durchaus in der Lage, den Zuschauer mit den Worten in eine andere Welt und in die Vergangenheit zu ziehen. Denn Davtyans Auseinandersetzung mit dem Armenier Hrant Dink übt sich in einem distanzierten Ton.

Die Frage „Wie schreibt man über einen Genozid?“ wird mit einer Folge von Texten beantwortet, die ganz unterschiedlichen Genres angehören und sich so zu einem fragilen Ganzen zusammensetzen. Was die einen an den Brockhaus erinnert, die anderen an Wikipedia; was an verbotene Geschichte gemahnt oder an freiheitliches Denken, wird ergänzt durch Gefühle, Erinnerungen, Wahrheiten und lässt sich in der Frage bündeln: „Wie schreibt man für die Bühne über einen Genozid?“ Hier wurde das Leben des Journalisten Hrant Dink gewählt. Der Armenier wurde 2007 von einem 17-jährigen nationalistischen Moslem ermordet.

Armenier sind Christen. In diesem Fall bildet der Text allein die Grundlage. Es kommen zahlreiche Elemente hinzu, die das Thema zum Gelingen bringen. Und das ist der Regisseurin Zara Antonyan zu danken. Sie hat den drei großartigen Schauspielern keine Rollen, sondern Figuren zugewiesen. So sind die beiden Gäste im Ensemble, Denise Matthey und Joana Tscheinig, mal Hohepriesterinnen oder flügelschlagende Vestalinnen, mal Zeugen der Gegenwart, mal Inkarnation der Vergangenheit. Beiden gemein ist die Fähigkeit zum anmutigen Tanz und zum authentischen Gesang — junge Schauspielerinnen, deren umfassendes Talent in dieser Inszenierung adäquat eingesetzt wurde. Denn sprechen können sie auch.

Das langjährige Ensemblemitglied Jonathan Hutter brilliert mit Dynamik, Schwung, Musikalität und Einfühlung in die Geschichte des Landes Armenien. Dort ist der Berg so wichtig: Ein Berg Ararat mit mehr als 5000 Metern, den wir aus der Bibel kennen und der gar nicht mehr zu dem Staat gehört — was wissen wir denn über Armenien? Diese Überlegung wurde nach der Aufführung noch unter dunklem Abendhimmel viel diskutiert. Weiter sind bei dieser Inszenierung die Zutaten von großer Kraft: Musik, Gesang, Bild, Bewegung. Die Musik und die Videos hat Stefan Ochsner gestaltet: Mit Ausschnitten aus „Die Farbe des Granatapfels“, 1968, gelingt es ihm, großartige Bilder für eine versunkene, geschändete Kultur zu zeigen. Einmal eine gelungene Verwendung von Videos.

Überzeugend auch die Kostüme: Rina Rosenberb schuf eine Bühne und Kostüme, die ein weites Feld eröffnen. In den Aufbauten der Bühne kehren diese Elemente wieder: Ein expressionistischer Berg wandelt sich in Seitenteile, und eine archäologische Stätte, und ist damit Beispiel für die Assoziationskraft der Zuschauer.