Villa Goecke Bildhauer Johan Tahon: Rätselhafte Figuren auf der Suche
In der Villa Goecke sind Plastiken des belgischen Bildhauers Johan Tahon zu sehen. Eine davon ist 2,70 Meter groß.
Krefeld. Aus einem Stück ist sie nicht. Kopf und Schultern, dann der Oberkörper, schließlich der Unterkörper ab den Hüften abwärts bilden die drei Fragmente, aus denen sich „Babylonia“ zusammensetzt. „Babylonia“ ist ein Mensch, war ein Mensch, ist die Rekonstruktion eines Menschen? Figürliche Plastiken auf der Suche nach einem Menschenbild zeigt jetzt die Villa Goecke in der beeindruckenden Ausstellung „Weiß“, mit der der belgische Bildhauer Johan Tahon zum ersten Mal in Deutschland mit einer Galerie-Einzelausstellung präsentiert wird.
„Babylonia“ ist aus weiß glasierter Keramik und 148 Zentimeter hoch. Ihre Fragmente sind nicht passgenau geschichtet, der Oberkörper ist verdreht eingepasst. Holzkeile zwischen Ober- und Unterkörper und aus Fugen hervorquillender Schaumstoff täuschen vor, dass die Figur vielleicht noch in die Werkstatt gehört — oder sagen das Gegenteil: Das scheinbar Vorläufige ist das Endgültige.
Wie alle Plastiken Tahons in der Villa Goecke ist „Babylonia“ kein Abbild. Tahons Werke sind nicht naturalistisch, die Proportionen stimmen meistens nicht, der Schaffensprozess bleibt auch in der nicht geglätteten Oberfläche sichtbar. Oftmals ergibt die wie wuchernd erscheinende Anordnung von Körperfragmenten auch keinen intakten Körper mehr. So präsentiert sich die Bronzestatue „Sinnende“ zwischen Oberkörper und Kopf mit einer grotesken Collage von Körperfragmenten, die nur der Funktion nach ein Hals ist, aber eben nicht von der Gestalt her.
Rätselhaft tritt einem die 2,70 Meter große Gipsfigur „Lotus“ entgegen. Die Unterarme vereinen sich ohne Hände zu einer Art Füllhorn, das einem entgegengestreckt wird - eine Willkommensgeste? Übergroß ist der Kopf der riesigen Figur, aus dem Rücken ragen zwei abgebrochene Stümpfe. Vielleicht ist Lotus ein Fabelwesen, ein gefallener Engel - man steht davor und staunt.
Und dann sieht man sich am Ende dem vermeintlichen Entwurf einer alten Kirchentür gegenüber. „Alpha und Omega“ heißt das zweiteilige Werk aus Gips, das aber in graugrünlicher Farbe gefasst ist. Jedes Teil ist ein Türflügel, insgesamt ist das Werk 295 Zentimeter hoch und 245 Zentimeter breit. Links sieht man einen Mann, rechts eine Frau. Die schädelartige Gestaltung des Männerkopfes und das Offenliegen der Luft- oder Speiseröhre bei der Frau machen die Figuren zu Akteuren eines mittelalterlichen Totentanzes. Hier ist der sonst auf der Suche scheinende Künstler doch noch zu einem eindeutigen Menschenbild gekommen. Was immer der Mensch bei ihm sonst noch ist oder sein kann - er ist vor allem sterblich.