„1 Gedicht“ Dichten mit Lyrikerin Barbara Köhler

Die Reihe „1 Gedicht“, die von der Kunststiftung NRW gefördert wird, sorgt für einen spannenden und interessanten Abend.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Interessant und anregend war der ausverkaufte Abend im Literaturhaus: Am Fuße des Wasserturms sprach die Lyrikerin Barbara Köhler mit Henning Heske. Rahmen der Veranstaltung im Niederrheinischen Literaturhaus war die Reihe „1 Gedicht“, die von der Kunststiftung NRW gefördert wird. Bei dieser feinen Reihe steht jeweils die Deutung eines Gedicht im Mittelpunkt. „Wir wollen unserem Publikum moderne Lyrik nahebringen“, sagte Henning Heske. Das geschieht im Wechsel von Lyrik und Gespräch; gerne werden auch Fragen aus dem Publikum beantwortet.

Barbara Köhler wurde 1959 in Sachsen geboren; in der Nähe des Dorfes Amerika. Sie lernte zunächst Textilarbeiterin für Flächenherstellung. Von 1985 bis 1988 studierte sie Literatur in Leipzig. Kurz darauf erschien Barbara Köhlers erster Gedichtband „Deutsches Roulette“ beim Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main. Heske las zur Charakterisierung aus zwei dicken Literatur-Lexika.

Köhler, uneitel, hörte neugierig zu - „Ich kenne das gar nicht“. Ihr gefiel besonders die Betonung ihrer Vielseitigkeit. Wie sie zum Dichten gekommen sei, wollte er dann wissen. „Das ist ein Grundbedürfnis“, sagte Barbara Köhler, „alle müssen mal ein Gedicht schreiben, und ich habe nicht aufgehört.“

Dann las die Lyrikerin in chronologischer Folge aus ihrem Werk. Dabei waren ihre Hände ständig in Bewegung und führten ein eigenes kleines Ballett auf, ganz im Rhythmus von ihrer Sprache. Szenenapplaus, zum ersten Mal bei „1 Gedicht“. Eine Entwicklung in ihrer Lyrik war deutlich zu erkennen. Während die ersten Arbeiten strengen Formen folgen und auch deutlich Zeichensetzung enthalten, werden die Gedichte im Verlauf immer freier und unabhängiger. Gemeinsames Merkmal ist aber der starke, überzeugende Rhythmus.

Beim Lesen zieht Köhler den Zuhörer direkt in einen Fluß von Silben und Wörtern hinein - da kommt es nicht mehr auf das einzelne Wort an, sondern auf die Zusammenhänge und die Stimmung, die dadurch erzeugt wird.

Bei „Niemands Frau“ ist Köhler bei der Odyssee angekommen, die ihr Leib- und Magenlektüre ist: „Daran arbeite ich immer noch“, sagt sie, „aus diesen Gesängen und Epen kommt die Lyrik.“ Für sie es es einer der größten Texte, die es gibt. In ihren Gedichten finden sich auch Einsprengsel in Französisch oder Italienisch, Passagen in Englisch (sie übersetzt auch), oder Altgriechisch (das sie sich selber beigebracht hat).

Da verwischen sich die Klänge, springen in den Sprachfamilien hin und her, dass der Hörer empfindet, wie Barbara Köhler Wörter und Silben als Material für ihre Gedichte zu verwenden versteht. Henning Heske interpretierte „Endstelle“ als Wendegedicht und hob hervor, dass die vier Anfangssätze im Sonett Hölderlin zitieren. Köhler zeigte sich mit Heskes Auffassung einverstanden - aber sie würde auch andere Ansätze zulassen.

Im einem kürzeren zweiten Teil las sie aus dem jüngsten Werk: „Istanbuls zusehends“ versammelt eigene Fotos aus einem fünfwöchigen Aufenthalt in der Metropole und Texte, die sie später dazu verfasst hat. Diese Arbeit verdankt sich einem Stipendium der Kunststiftung NRW. Als Zugabe las Barbara Köhler aus dem noch unveröffentlichten „schriftstellen“, einem eloquenten, humorvollen und überzeugenden Sprachspiel mit Buchstaben und Silben. Ganz in der deutschen Sprache verankert: „Das ist unübersetzbar“, sagte sie. „schriftstellen“ wird am Germanistischen Seminar der Universität Köln veröffentlicht.

Im Juni wird sie in Wien die „Ernst-Jandl-Vorlesungen zur Literatur“ halten. „Darauf freue ich mich sehr!“