Ballett Ein Ballett wie ein Märchenfilm
Krefeld · Robert Norths „Beethoven!“ feierte Premiere in Krefeld. Und erntete Jubel. Doch die unschuldig plakative Ästhetik dieser Hommage scheint aus der Zeit gefallen.
Man würde weniger auf die Idee kommen, einen zuckersüßen Märchenfilm aus den 50er oder auch 70er Jahren ernsthaft für seine Machart zu kritisieren. Diese Produktionen sind Kult, weil sie so unschuldig naiv daherkommen. Viele Menschen lieben sie — eben weil sie so sind wie sie sind. Und daher stehen sie unter gewissem Schutz. Ähnliches — in etwas übertragenem Sinne — müsste eigentlich auch für bestimmte Arten von unter Biotopschutz stehenden Balletten gelten. Sie sorgen mit wenigen Ausnahmen stets für großen Jubel beim Publikum, verführen zum Träumen, zum unbeschwerten Kulturgenuss. Bieten hervorragende Tänzer, angeleitet durch Choreografen, die zu wissen scheinen, wie man mit Tanz und Bewegung Geschichten erzählt, Gefühle illustriert.
North präsentiert den Komponisten dreifach
Dies alles muss unseren Betrachtungen über die neueste Arbeit von Robert North am Theater Krefeld vorangestellt sein, weil es Missverständnisse zu vermeiden gilt. North hat anlässlich des Beethoven-Jahres (250. Geburtstag des Komponisten) einen Ballett-Abend geschaffen, der sich dem Leben und Wesen des Komponisten widmen möchte. Und wie zu erwarten, sorgte der Zweiakter bei seiner Uraufführung für begeisterte Reaktionen beim Publikum, das seinen North kennt und für das, was er macht, liebt. Aber wir müssen ernsthaft miteinander reden, denn bei allem Denkmalschutz, der dieser Art von Ballett-Abend gebührt, dürfen wir nicht vergessen, dass wir uns nicht im Jahr 1950, sondern im Jahr 2020 befinden.
Aber der Reihe nach. Die Grundidee hinter „Beethoven!“ ist folgende. Der Komponist wird durch drei Performer, aus drei Perspektiven in unterschiedlichen Lebensabschnitten, dargestellt. Die mit ihren jeweils ihnen zur Verfügung stehenden Ausdrucksmitteln, durch exemplarische Stationen oder Aspekte aus Beethovens Leben geführt werden. Mit beachtlichem schauspielerischem Tiefgang verkörpert Generalintendant Michael Grosse selbst den alternden schon ergrauten späten Beethoven. Zeitgleich fungiert Grosse als Erzähler in dieser Produktion. André Parfenov, der mittlere Beethoven, wird immer wieder an einem Flügel sitzend auf die Bühne geschoben und drückt sich lediglich durch sein Klavierspiel aus. Alessandro Borghesani wiederum ist der junge Beethoven und vermittelt, das, was seine Rolle zu sagen hat, mittels Tanz. Ausdrucksvoll setzt er die Gesten und in Bewegung gelegten Andeutungen etwa auf Leidenschaft, Verzweiflung, Beethovens Beziehungen oder auch Aufbegehren um.
Den Auftakt des Abends macht Beethovens Begräbnis. Weitere Szenen, bisweilen in temporeich choreografierten Ensembles, rücken etwa Beethovens Jugend in Bonn, seine Zeit in Wien, seine Musen oder auch immer wieder seine Liebschaften in den Fokus. Es gibt ein Klavierduell, bei dem Parfenov zunächst einen weniger talentierten Pianisten und dann Beethovens heißblütige Kunst verkörpert, einen Exkurs zu Napoleon, der sich schließlich doch zum Kaiser krönt und den politischen Menschen Beethoven, Momente der Reflexion und Verzweiflung, wie etwa einen Verweis auf das Heiligenstädter Testament – sogar eine albtraumhafte Szene, die sich um Beethovens Taubheit dreht und zeitgenössischere Anklänge und Färbungen akzentuiert. Dieser Moment wirkt im Gesamtgefüge indes mehr als ein Fremdkörper.
Musikalisch — es spielt kein Orchester live — setzt man neben den pianistischen Soli Parfenovs auf Einspielungen bekannter Werke; nicht nur des Wahlwieners. Und bei der Musik wären wir beim ersten ernsthaften Problem. Es wird stereotyp, ob mit einer verspielten Version von Mozarts „Alla Turca“ aus der Klaviersonate A-Dur, mit der unvermeidbaren „Für Elise“, „Mondscheinsonate“ und Co. Natürlich kann man diese Werke choreografisch einbauen, doch hier passiert alles ohne ästhetische Hintergründigkeit. Sehr plakativ nimmt North alles wörtlich. Da darf bei der „Pastorale“ der mit Schafsfell bekleidete Hirte (Francesco Rovea) nicht fehlen, und eine „Zigeunerin“ (Teresa Levrini) tanzt in einem Wiener Café. Napoleon macht Bewegungen, als würde er auf einem Pferd reiten. Ja bei North wird es auch humorig. Doch wo bleibt bei alledem eine hermeneutische Tiefe und über das bloße Illustrieren hinausgehende Auseinandersetzung?
In der Ausstattung von Luisa Spinatelli treffen wir auch auf dieses Phänomen. Die Kostüme erinnern wirklich an gute alte Ostblock-Produktionen, das Bühnenbild arbeitet mit projizierten Motiven, die nicht minder brav wirken. Stellwände, die versehen sind mit einem Relief – ein bisschen wie Kunst am Bau aus den 70ern –, wirken willkürlich und etwas verloren. Hofft man auf eine Brechung oder eine Auflösung dieser naiven Ästhetik, wird man von Szene zu Szene mehr und mehr enttäuscht. Als Beethoven schließlich im Finale auf einem erhöhten Thron Platz nimmt, fragt man sich spätestens, ob dies alles nun ernst oder bitterböse ironisch gemeint sei. Bei „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ wäre die Antwort vielleicht weniger überraschend. Doch hier bleibt die Sorge, wie die Antwort wirklich ausfallen würde.
Aber wie eingangs erwähnt; das Publikum war überaus begeistert, weil man nunmal weiß, was einen erwartet und diese verspielte Leichtigkeit schätzt. Und weil die Tänzer und eigentlich alle Beteiligten mit dem, was sie machten, handwerklich sehr Überzeugendes geleistet haben. Doch passt die heilige Banalität zu Beethoven? Nun, wäre das Stück als Kinderstück konzipiert, hätte man wirklich keine Einwände, denn die Figur Beethovens wird einem auf spielerische Weise näher gebracht. Aber für eine künstlerische Auseinandersetzung zum Beethoven-Jahr fehlt eben die „Auseinandersetzung“. Fehlt ein tiefer Blick in Beethovens Musik, fehlt auch die Konsistenz.
Wieso taucht immer wieder die Titelseite der „Eroica“ im Hintergrund auf, nur just dann nicht, wenn Napoleon, dessen Widmung Beethovens wütend herausradierte, im Fokus steht? Und wo blieb die tänzerische Reflexion von Beethovens Musik? Wo der heutige Blick auf Beethoven, aus dem Jetzt heraus? Einen kleinen Hinweis mit einer verjazzten Beethoven-Sonate darauf zu geben, mag witzig sein, doch wirkte auch dies eher wie eine Persiflage einer frühen Hollywood-Produktion.
Darf man, ja muss man derartige Biotope in Ruhe lassen?