Eine zeitlose Theater-Premiere zum Start

Die Spielzeit wird mit einem Klassiker von Kleist eröffnet. Der Regisseur verrät, warum ihn das Stück schon lange fesselt.

Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Bin ich wach, oder war das nur ein Alptraum? Diese Frage könnten sich am Samstag Theaterbesucher stellen, die sich den Klassiker „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist im Stadttheater ansehen. Inszeniert hat das Stück ein bekennender Kleist-Fan.

Im Vorabgespräch erzählt Regisseur Hüseyin Michael Cirpici, dass er sich schon länger mit Kleist und seinem zerbrochenem Krug beschäftigt. Er studierte die Rolle des Ruprechts ein, um die Aufnahmeprüfung bei einer Schauspielschule zu bestehen. Der Ruprecht, der zu unrecht von der Mutter seiner Verlobten angeklagt wird, den Krug zerbrochen zu haben. Und dafür auch noch vor Gericht landet. Den Ruprecht hat sich der gebürtige Krefelder Cirpici an zehn oder elf Schauspielhäusern angesehen und festgestellt: „Ich war verblüfft, wie wenig ich lachen konnte.“

Dabei hat Kleist sein Werk im Untertitel als Lustspiel bezeichnet. „Aber lustig ist anders“, sagt Cirpici. Denn die Geschichte hat eine düstere Tragik. Dem Dorf ist die richterliche Unabhängigkeit abhanden gekommen. Und damit ein Stück Demokratie.

Der Dorfrichter Adam, dem der Ruprecht vorgeführt wird, ist alles andere als neutral. Er hat sich die Taschen voll gemacht und die Verlobte von Ruprecht mit einem gefälschtem Papier unter Druck gesetzt, um sie in irgendeiner Weise, die bei Kleist nicht näher beschrieben wird, sexuell zu nötigen.

Hüseyin Michael Cirpici, Regisseur, über andere Kleist-Interpretationen

Das ist alles andere als lustig, aber: „Lustig hängt von den Schauspielern ab“, sagt Cirpici. Und: „Komik kann man als Regisseur nicht planen, aber wir haben herzlich gelacht.“ Für Cirpici hat das Stück eine ambivalente Komik, die vor allem durch den korrupten Richter Adam auf die Bühne kommt.

„Er muss sich immer neue Notlügen ausdenken, immer wieder herausreden.“ Er möchte unterhaltsames Theater machen. Diese Widersprüchlichkeit ziehe sich für den Regisseur durch das Stück, das im Verlust der Demokratie etwas von einer Art surrealen Alb-traum habe. „Man wacht auf und weiß nicht: Ist das jetzt real, bin ich überhaupt wach?“

Diesen Eindruck hat Sigi Colpe (Bühne und Kostüme) aufgenommen. Alles wirkt dunkel und atmosphärisch und ist mit Live-Musik von Julia Klomfaß unterlegt. Die Bühne wirkt wie ein doppelter Boden. Die Perspektiven sind vielfältig. Eine Kamera filmt das Geschehen aus der Vogelperspektive und projiziert das Bild auf eine Fläche über der Bühne. So entstehen unterschiedliche Sichtweisen.

Während der Inszenierung werden durch die Kamera Dinge sichtbar gemacht, die der Zuschauer anfangs nur erahnen kann, erklärt Colpe. Zum Beispiel Lebensmittel und Wertsachen, die der Richter im Untergrund des Dorfes gehortet hat. „Die Bühne ist ausgehöhlt“, sagt Colpe. Der feste Boden der Demokratie fehlt. Der Richter hat sie ins Wanken gebracht. Das Recht für seine Zwecke hintergangen und sich auf Kosten der einfachen Bürger bereichert. Als „heutig und zeitlos, ohne modisch zu sein“ beschreibt Colpe die Kostüme der Darsteller. Sie lassen die sozialen Positionen erkennen, geben jedoch keine Hinweise auf die Zeit, in der das Stück spielen könnte.

Denn wichtig ist dem Tandem Cirpici und Colpe, dass „Der zerbrochene Krug“ ein „zeitloses Stück“ ist, das immer aktuell ist. Logische Schlussfolgerung: Die Inszenierung ist ebenfalls zeitlos. „Wir werfen keine Bilder von Erdogan, Trump oder Berlusconi an die Wand. Jeder Zuschauer darf bei uns seine eigenen Assoziationen haben.“