Literatur „Ich liebe meine Figuren“

Schriftstellerin Ulrike Renk veröffentlicht mit „Das Lied der Störche“den ersten Teil einer Trilogie mit historischem Hintergrund.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Die Krefelderin Ulrike Renk hat wieder einen Schmöker vorgelegt: Kürzlich erschien im Aufbauverlag „Das Lied der Störche“. Es ist erneut eine Trilogie mit historischem Hintergrund. Der Roman beginnt in Ostpreußen, man schreibt das Jahr 1920. Hauptperson ist Frederike, die vor dem Ersten Weltkrieg geboren wird. Am Ende dieser mehr als 500 Seiten ist sie verheiratet mit dem Gutsbesitzer Ax von Stieglitz. Aber ob das ein glückliches Ende ist?

Die WZ sprach mit der Autorin.

In Ihren Büchern findet sich häufig eine Verbindung zwischen Historie und Fiktion. Woher haben Sie den Stoff?

Ulrike Renk: Ich gestehe, dass ich wahre Geschichten um einiges spannender, aber auch anstrengender zu schreiben finde. Fiktive Geschichten kann man sich ausdenken, kann Höhen und Tiefen erfinden, bei wahren Geschichten ist das nicht so. Da stirbt schon mal ein Sympathieträger, weil das so war. Wäre es eine fiktive Geschichte, könnte man es drehen, aber so geht das nicht. Das ist mir so mit „Minnie“ bei der Australiensaga gegangen. Sie stirbt nun mal, und etliche Leser waren enttäuscht. Aber es widerstrebt mir, eine wahre Geschichte zugunsten des Lesereindrucks, des Spannungsbogens, zu ändern.

Das bedeutet „Das Lied der Störche“ auch auf einer wahren Begebenheit basiert?

Renk: „Das Lied der Störche“ ist der Anfang der Lebensgeschichte von Frederike — in meinem Buch heißt sie Frederike zu Weidenfels —, der Name ist allerdings erfunden. Ich habe etliche Namen und Orte geändert, weil es noch zahlreiche Nachkommen gibt. Die Geschichte schenkte mir Gebhard Freiherr zu Putlitz, Frederikes Sohn. Er ist der Schirmherr der 42erAutoren, einem Schriftstellerverein, in dem ich seit einigen Jahren Mitglied bin. Mir ist die Geschichte seiner Mutter genauso geschenkt worden wie die Geschichte von Emilia Bregatner — Die Australierin. Emilias Tochter hatte einen Krefelder geheiratet, einen Te Kloot, der 1860 nach Australien auswanderte.

Robyn Jessiman, ihre Nachfahrin, hat mich per Mail 2012 angeschrieben, und dann kam die Idee zum Buch. Ich bekomme diese Geschichten geschenkt, bekomme Daten, Fakten, Briefe, Dokumente. Doch ich spinne darum immer eine irgendwie fiktive Geschichte. Freiherr zu Putlitz sagte: Ich habe das Skelett geliefert, Frau Renk hat das Fleisch der Geschichte dazu erfunden. Schon wenn ich einige Details höre, spielt sich in meinem Kopf ein Film ab. Dann denke ich: Wow! Wie wunderbar, darüber kann ich ein Buch schreiben. Das Leben schreibt einfach die besten, die spannendsten Geschichten. Immer.

Bei der Lektüre hat der Leser den Eindruck großer Nähe zu den Figuren. Wie gelingt Ihnen das, obwohl die Handlung in der Vergangenheit spielt?

Renk: Recherche, Recherche, Recherche. Und dann liebe ich auch „meine“ Figuren. Ich habe Briefe, Dokumente, habe mit den Nachfahren gesprochen. Meine Figuren sind keine fiktiven Figuren, es sind Menschen, die gelebt haben, die es gab. Es gibt den Ratschlag für Schriftsteller, dass sie ein Interview mit ihren fiktiven Figuren führen sollen, um ihnen nahe zu kommen. Sie sollen ihre Lieblingsspeise, ihre Musik, ihre Vor- und Unlieben erfinden. Ich muss das nicht. Ich habe eine Figur vor Augen, kenne Erzählungen und andere Dinge aus ihrem wahren Leben. Daraus „stricke“ ich mir meine Figur. Sie hat Vorlieben, mag Musik, mag Dinge, die ich erfinde. Aber sie passen. Meistens. Freddy aus „Das Lied der Störche“ liebte Hunde und Wölfe. Es gab das Wolfsrudel auf dem Gut Sobotka. Ich liebe Hunde und Wölfe. Ich habe nordische Hunde, die sehr ursprünglich sind. Und somit habe ich einen Teil, der uns verbindet. In jedem Buch gab es etwas, was mich mit der Protagonistin verbunden hat. Sonst hätte ich die Bücher gar nicht so schreiben können.

Vor 100 Jahren gestaltete sich der Alltag auf einem ostpreußischen Gut völlig anders als heutzutage. Wie recherchieren Sie die Details wie Badewanne und Speisen oder Spielsachen oder Kleidung für Ihre Bücher?

Renk: Mich interessiert das Leben von früher: Wie war das? Wie haben sie gelebt, gekocht, gewohnt, was haben sie angezogen? Man muss sehr viel Neugierde mitbringen, um solche Bücher zu schreiben. Ich liebe es. Ich bin ein Museumsfan, ich liebe Wikipedia und andere Seiten. Recherche spielt bei mir eine große Rolle. Ich lese Sekundärliteratur, ich lese Bücher aus der Zeit, ich lese Biographien. Und mein Bruder ist Historiker beim Bistum Münster, wenn ich nicht mehr weiter weiß, frage ich ihn. Und wenn er nicht mehr weiter weiß, kennt er jemanden, den man fragen kann.

„Das Lied der Störche“ ist der erste Teil einer Trilogie. Wie geht es weiter? Und was ist mit Titeln, Erscheinungsterminen und Zeiträumen?

Renk: Als Nächstes kommt im Oktober 2017 „Die Jahre der Schwalben“, da geht es mit Frederikes Geschichte im Dritten Reich weiter. Der dritte Band spielt in der Nachkriegszeit. Den Titel weiß ich noch nicht, aber das Buch wird 2018 erscheinen. Als Ebook wird es im Herbst 2017 ein kleines Weihnachtsbuch aus Fennhusen geben, das kommt im Frühjahr dann als Printbuch bei Rütten&Loening heraus.

Wie geht es mit ihren Krimis weiter?

Renk: Die ersten beiden Seidenstadtkrimis werden dieses Jahr im Sommer bei Gmeiner neu aufgelegt. Schon seit einigen Jahren sind die Bücher ja leider vergriffen, aber ab August kann man „Seidenstadtleichen“ und ab Oktober „Seidenstadtmorde“ wieder kaufen, lesen oder auch verschenken. Das freut mich sehr.