Bandoneon in Krefeld Im Zeichen des Bandoneons

Krefeld · Als Vorbereitung auf das Bandoneon-Festival lohnt ein Blick in Janine Krügers Buch über das in Krefeld erfundene Instrument. Wir sprachen mit der Autorin

Mercedes Cimadevilla hat für das Badnoneon-Buch von Janine Krüger dieses Instrument in Szene gesetzt. Noch mit dem alten Namen „Bandonion“.

Foto: Mercedes Cimadevilla

Es gehört gewiss zu den schönen Zufällen, dass das Bandoneon in Krefeld erfunden wurde. Dass es danach seinen Siegeszug bis nach Südamerika antrat und zu dem Instrument des Tangos schlechthin wurde, kann eigentlich kein Zufall sein. So oder so, das von Heinrich Band (Krefelder Cellist und Instrumentenhändler) Mitte des 19. Jahrhunderts konstruierte Instrument gehört unzertrennlich zu Krefeld und mit ihm verbinden sich unzählige Geschichten und Anekdoten.

Das Bandoneon war ein Instrument für den Mittelstand

Um dies alles zur ordnen und die Spuren des Bandoneons, was früher Bandonion hieß, und seines Erfinders genauer verfolgen zu können, hat der Förderverein des Kulturbüros der Stadt Krefeld eine ausgewiesene Tango-Kennerin verpflichtet, um ein Buch zu schreiben. Wie unsere Zeitung schon berichtete, hat die Autorin Janine Krüger – sie ist Musikwissenschaftlerin und Pädagogin – ein sowohl wissenschaftlich fundiertes als auch unterhaltsames Buch mit dem Titel „Heinrich Band. Bandoneon – Die Reise eines Instruments aus dem niederrheinischen Krefeld in die Welt“ veröffentlicht, das im Mai erschien. In einer fesselnden Weise gestaltet und geschrieben auf satten 368 Seiten, versehen mit unzähligen vielseitigen Illustrationen, sogar QR-Codes, mit denen Klangbeispiele verlinkt sind.

Zeitnah nach der Vorstellung des Buches sprachen wir unter Corona-Bedingungen telefonisch mit der Autorin und ließen uns die Idee hinter dem Buch und so manches inhaltliches Schmankerl erzählen. Nun, da es Neues vom Krefelder Bandoneon-Festival (wir beleuchten das Programm über das Event in einem separaten Artikel) zu vermelden gibt, lohnt es sich, die Highlights aus dem ausführlichen Gespräch Revue passieren zu lassen.

Schon 2012 hatte Janine Krüger eine Ausstellung zu Band und Bandoneon mit kuratiert, insbesondere den Teil über Tango, ein Thema, worüber sie promovierte. Im Zuge dieser Ausstellung, berichtet Krüger, kamen Fragen auf, und auch vermehrt der Wunsch, in Krefeld das Thema wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. 2017 trat der Förderverein des Kulturbüros schließlich mit dem Auftrag an Krüger heran, den wissenschaftlichen Kontext herauszuarbeiten, die Quellen zu Band und das Instrument entsprechend aufzuarbeiten und zu präsentieren. Krüger betont aber, dass sie bei der Autorenschaft des Buches als freie Autorin, auch freie Hand hatte. Und auch ist es ihr wichtig, dass man mit dieser Publikation bewusst einen „Bogen schlagen wollte zwischen der wissenschaftlichen Aufarbeitung, aber auch der Popularisierung“. Das Instrument bekomme, konstatiert Krüger – und das überrascht –, viel zu wenig Aufmerksamkeit, was seine Geschichte und auch Schönheit angehe.

Die Tangoszene kennt ihre Bandoneons, aber wenn es um historische Instrumente gehe, so könne man da das Auge der Betrachter noch schulen. „Diese Instrumente sind in ihrer Schönheit verzaubernd“, sagt Krüger. Und das trotz der historischen Patina, die viele dieser Exemplare zwangsläufig angesetzt haben mögen. Sie transportieren jenen „Charme der vergangenen Zeit“, was sich auch in den Fotografien von Mercedes Cimadevilla spiegelt.

Krüger fasziniert am Bandoneon aber auch die Idee der Emanzipation, wie sie uns erläutert. Es sei ein Instrument entworfen für eine bestimmte soziale Gruppe, für Menschen, die seinerzeit, in Zeiten, als nicht alle Noten lesen konnten, für den Mittelstand, als ein vollwertiges Instrument im Kleinen. „Für einen ambitionierten Mittelstand“. Da sieht Krüger viele Aspekte von kultureller Teilhabe und emanzipatorischer Kraft, die bei Heinrich Band erkennbar sei. Hierzu zählten auch Möglichkeiten der Individualisierung. Übrigens: Dieser Konnex zum Mittelstand der florierenden Seidenstadt macht das Bandoneon somit schon zu einem „typisch“ Krefelder Phänomen. „Der Kundenkreis, der für Band interessant war, ist tatsächlich auf diese Stadt zurückzuführen“, sagt Krüger. Menschen, die sich emanzipieren konnten in den Mittelstand hinein.

Die Instrumente wurden indes nicht in Krefeld selbst hergestellt, sondern in Sachsen. Heinrich Band hat seine Instrumente dort fabrizieren lassen, betont Krüger; wenngleich er seine Anforderungen genau vorgeschrieben hat. Dort wurden auch Parallelmodelle entwickelt, die aber nicht derart anspruchsvolle Möglichkeiten zuließen, wie die Modelle für Krefeld. Hier wollten die Menschen auch mal Opernarien, die Hits der Zeit, auf dem Instrument spielen können.

Es gab verschiedene Momente der Überfahrt nach Argentinien

So überraschend es schon ist, dass die Herstellung der Bandoneons schon seinerzeit „outgesourct“ – um es mal Neudeutsch zu formulieren – wurde, gab es noch weitere Erkenntnisse. Ein Aha-Moment sei gewesen, so Krüger, dass man deutlich unterscheiden müsse zwischen dem Entwurf, der Produktion und der Exportgeschichte. Hier gäbe es einige Knoten zu entwirren, erläutert uns die Autorin. Zum Beispiel: Wussten Sie, dass das Instrument von Anfang an für einen globalen Markt gedacht war? Was zudem aus so vielen Einzelteilen bestand, dass die Produktion in viele einzelne Bereiche aufgeteilt war?

Das Image von dem „autonomen Instrumentenbauer, der in seiner Hütte sitzt und schließlich mit dem vollkommenen Instrument wieder herauskommt“, sei eine Vorstellung, die nicht zuträfe. Vielleicht vergleichbar mit den romantischen Vorstellungen von den Schaffensprozessen berühmter Komponisten – möchte man hierzu ergänzen – das auch leider mehr aus der Welt von Filmen und Fantasie entstammt als die Realität widerspiegelt. Wenngleich es da auch Ausnahmen gibt.

Und wie kam das Instrument nach Argentinien? Und wäre es nicht dahin gekommen, würden heute sehr wahrscheinlich sehr wenige Menschen über die Erfindung Bands sprechen? „Absolut“, sagt Krüger. Es gäbe verschiedene Momente der Überfahrt, erläutert sie. Es gab Rheinländer, die ausgewandert sind, es gibt den ersten schriftlichen Nachweis aus 1855 von einem Krefelder, der es in das Gebiet der Great Lakes in Amerika geschafft hat. Solche Menschen hätten das Instrument mitgenommen, sagt Krüger, „weil es sehr praktisch war“. Es war eine kleinere Version eines vollwertigen Instrumentes. „Es ist kein Akkordeon, mit dem man auf einem Schiff Musik machte“, betont sie.

Mehrere Jahrzehnte später hatten sich weitere Instrumente etabliert, die mit Auswanderungswellen nach Übersee kamen. Dass das Bandoneon dann schließlich seinen Weg zum Tango fand, sei nicht „ein Moment“ gewesen. Es gingen diesem Prozess verschiedene Entwicklungen voraus. Es gab schon vor der Jahrhundertwende Musiker, die sich in Argentinien als Bandoneon-Spieler hervorgetan hätten. Der Tango, hatte in dieser Zeit, sagt Krüger, jedoch noch eine andere Besetzung. Erst ab 1910 findet das „Bandoneon Einzug auf Langspielplatten kreolischer Musik“. Es war Bestandteil verschiedener musikalischer Linien, teilte sich den Platz mit anderen Instrumenten.

Ab 1920, zeitgleich damit, dass die argentinische Nation an Kontur gewinnt, und Carlos Gardel, die Stimme des Tangos groß wird, habe der Tango den Ton des Bandoneons für sich gefunden und er begann, sich damit zu identifizieren. „Die Stimmung findet sich in diesem Bandoneon-Ton“. Schlussendlich findet sich durch den Ausbau dieser Kultur, durch die besondere Art das Instrument zu spielen, das Bandoneon in Argentinien eine eigene stilistische Sprache. „Das konnte Band damals noch gar nicht ahnen“, sagt Krüger. So wie der Tango das Instrument beeinflusst hat, hat das Instrument den Tango beeinflusst – wie so oft, ein dialektischer Prozess. „Bis auf sechs hinzugefügte Töne ist das Instrument heute noch identisch mit dem, was Heinrich Band entworfen hat“, weiß Krüger zu berichten. Dann war der Weg zu großen Meistern des Tango Nuevo, sprich Astor Piazzolla, nicht mehr weit.

Das Bandoneon ist mehr
als ein Tango-Instrument

Aber gerade auch bei den Krefelder Tango-Festivals, das diesjährige findet vom 5. bis zum 25. September unter Corona-Bedingungen in der Fabrik Heeder statt, versucht man das Bandoneon, nicht nur als reines Tango-Instrument zu verstehen. „Das Instrument kann mehr“, so Krüger. Da wünsche man sich manchmal mehr Verständnis vom Publikum und von den Interpreten. In der zeitgenössischen Tangoszene hat man das Nebeneinander von Avantgarde und Tradition ohnehin schon. Zeitgenössische Musik spielt auch gerne mit dem Bandoneon – man denke nur an den Komponisten Mauricio Kagel. Man dürfe es nicht linear sehen. Auch was die technische Entwicklung der Instrumente anbelangt.

Die Autorin wünscht sich, dass die neuen Erkenntnisse auch nach Argentinien kommen mögen. Die größte Legende, die übrigens sie widerlegen konnte, ist: Dass das Bandoneon eigentlich von einem sächsischen Konkurrenten erfunden wurde. Oder, dass das Instrument eigentlich eine Art Orgel-Ersatz gewesen sei.

„Heinrich Band. Bandoneon“ von Janine Krüger ist erschienen im Klartext Verlag, hat 368 Seiten, und kostet 29,95 Euro. Das Buch kann, laut Kurturbüro, auch während des Bandoneon-Festivals (5. bis 25 September) erworben werden. Es wird derzeit eine zweite Auflage (die erste ist fast ausverkauft) geplant.