Oper „Kleine“ Operngala, die ganz groß wurde
Krefeld · Bei dem konzertanten Abend traten Solisten des Theaters Krefeld/Mönchengladbach, begleitet von den Niederrheinischen Sinfonikern, unter Erik Garcia Alvarez auf.
Eine Operngala – wenngleich eine „kleine“ –, nicht etwa im Autokino oder per Live-Stream, sondern ganz real im Theater, mit Publikum – wenngleich ein kleines –, mit Orchester – indes ebenfalls eher kompakt –, ist das heutzutage überhaupt denkbar? Und wenn ja, kann das gelingen? Kann es gelingen, etwas auf die Beine zu stellen, das den „Begriff“ Operngala, und da gibt es schon sehr eindeutige Vorstellungen, auch auszufüllen vermag? All das in einer Zeit, in der eigentlich alles unter gänzlich neuen Regeln abzulaufen hat, weil man sich und andere vor möglichen Ansteckungen mit dem Coronavirus schützen möchte. In einer Zeit, wenn es, natürlich nicht nur aber auch, um die Theater- und Kunstmusikwelt geht, die vor allem geprägt ist durch Entbehrungen, Kompromisse und einen daraus erwachsenden großen Hunger nach eben jenem Zauber, der uns fehlt.
Die Stimmung einer Operngala kommt trotz der Umstände auf
Nun, das Theater Krefeld und Mönchengladbach hat an seinen beiden Standorten auf beeindruckende Weise gezeigt, dass eine „kleine Operngala“ zu Corona-Zeiten gar nicht so klein sein muss. Und künstlerisch eh gebührend groß sein kann. Und ja, die „Kleine Operngala mit großen Stimmen“ am Theater Krefeld konnte tüchtig taugen, um unser aller großen Hunger nach Oper zu stillen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass nach einer langen Diät oder ausgedehntem Fasten, die vermissten Speisen noch geschmackvoller, noch ein bisschen intensiver und prickelnder sind.
Glaubte man vielleicht zu Beginn, nach dem immer etwas umständlichen Prozedere, mit der das abgezählte Publikum mit Maske und Abstand auf die wenigen erlaubten Plätze im Zuschauerraum verteilt worden war, dass unter diesen Umständen, bei hell beleuchtetem Saal, echte Operngala-Stimmung kaum aufkommen kann. Dieser elegante, zumeist golden gefärbte, Sog, der aus den Erwartungen des Publikums, aus einem, einen Feuerwerk nach dem anderen zündenden, Programm und einer besonderen Gestimmtheit der Künstler entsteht, schien nur schwerlich realisierbar. Doch weit gefehlt. Nicht nur, dass man den großen Abstand zu Sängern – der dann doch nicht so groß war – und zu den Musikern – der wirklich beachtlich schien – schnell vergaß. Auch lieferte das Theater alle Zutaten für diesen Sog derart schön abgeschmeckt und serviert, dass man sich in Kürze ganz in die Stimmung einer „echten“ Operngala hineinversetzt sah. Und das nicht zuletzt dank der hervorragend auf den Punkt singenden und mit viel Charisma agierenden Sängerinnen und Sänger, die ein Programm mit deutlich italienischem Schwerpunkt, aber schönen weiteren Akzenten, sangen.
Die musikalische Leitung hatte man Erik Garcia Alvarez überlassen, der zeitgleich am Flügel vor seinem Kammerorchester saß und wahlweise auch an komplexeren Ecken von Arien dirigierte, obendrein aber auch für die Arrangements der Werke verantwortlich zeichnete. Die Niederrheinischen Sinfoniker, reduziert auf wenige Streicher, Bläser und Schlagzeug, bewiesen, wie viel Ursprüngliches, im besten Sinne gutes Musikantentum in ihnen steckt. Wie ein Salonorchester, dessen Klänge einen in der Liegekur auf dem Balkon eines Sanatoriums befindlichen Jüngling entzücken, wehte ihr leichtes, durchaus leidenschaftliches Spiel herüber. Keinesfalls wollen wir die Qualität ihrer Spielkultur mit der von Kurorchestern vergleichen; die Sinfoniker wissen, was sie tun. Aber allein durch den speziellen Mischklang, der mit dem rhapsodisch eingeflochtenen Klavier, an gute alte Arrangements aus längst vergangenen Potpourri-Zeiten erinnerte, konnte man sich derartige Assoziationen nicht verkneifen.
Hilfreich war dabei übrigens auch die elegante und gut gewählte Dekoration, auf die es aber eigentlich nicht ankommen sollte, wenn die Sänger derart viel Sogkraft in ihre Rollen und Stimmen legen, dass man eh nur mit seinen Blicken auf sie fokussiert bleibt. Nach einem „Carmen“-Block, mit Ouvertüre und Escamillo-Arie mit Haltung verkörpert von Guillem Batllorie vom Opernstudio, folgte Boshana Milkov mit Rossini. Sie und ihre Kollegin aus dem Opernstudio Niederrhein, Maya Blaustein, konnten neben den bekannten Gesichtern aus dem Solisten-Ensemble des Hauses, auch durchaus gesangskünstlerisch eigenständige und beachtliche Akzente setzen. Beide jungen Sängerinnen verfügen über ganz individuelle stimmliche wie bühnencharakterliche Talente, die sich trefflich entwickeln dürften.
Kairschan Scholdybajew, der erfahrene Tenor mit einer entzückend kultivierten Musikalität, schien in der Corona-Krise erholt. Seine Stimme wirkte deutlich befreiter. Er sang im Duett mit Rafael Bruck, bei dem man auch die Freude spürte, wieder für uns als Publikum singen zu können. Dies galt auch für Eva Maria Günschmann, der es vor allem mit der Arie der Dalila aus Samson und Dalila von Saint-Saëns gelang, den Zuhörer in ihre Kunst hineinzuziehen. Die indes auch bei tragischen Rollen wie in der Arie der Santuzza (Cavalleria Rusticana) sich mit ihrer Gesamterscheinung perfekt zu Hause fühlen dürfte. Matthias Wippich wiederum ließ uns mit „Fünftausend Taler!“ aus dem Wildschütz auch schmunzeln und beeindruckte im Duett als Dulcamara mit Sophie Witte. Jene verzauberte als Violetta, mit viel Haltung unterstützt von David Esteban, der darauf „E lucevan le stelle“ aus Tosca sang und schließlich auch Pinkertons Abschied mit farbiger Tongebung über die Bühne steigen ließ. Hayk Dèinyan ließ seine Bassstimme, die ohnehin aus jener Sphäre entsprossen scheint, auf Tschaikowsky treffen.
Moderiert wurde der Abend vom Operndirektor Andreas Wendholz, der sich zwischendurch kurz zu Wort meldete und betonte, wie glücklich alle seien, wieder für das Publikum spielen zu können, dankte aber zeitgleich für dessen Treue, auch in diesen schwierigen Zeiten.
Der Abend ging zunächst mit einem Duett von Blaustein und Milkov „Barcarole“ aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ zu Ende, bei dem die zwei nochmals zeigten, wie sehr sie eine Bereicherung für das Haus sind. Doch der Applaus, der erst zögerlich und dann immer intensiver werdend Zugaben forderte, wurde noch belohnt. Erst mit dem „Trinklied“ aus der Traviata, bei dem Teile der Sänger sich auf dem Rang postierten und das Publikum sich sogar motiviert sah mitzuklatschen.
Als Dank darauf gab es das Katzen-Duett mit einer glänzenden Blaustein und einem nicht minder köstlich spielenden Dèinyan.
Ein bemerkenswerter Abend – der zeigt, das mitreißende – und im Herzen doch ganz große – Opernabende auch dieser Tage funktionieren können.