Bauhaus in Krefeld Beweiskette für eine Krefelder Architektur-Ikone
Krefeld · Bauhaus pur ist die Villa Heusgen in Hüls. Doch hat sie der berühmte Architekt Ludwig Mies van der Rohe entworfen? Neue Hinweise stützen diese These.
Im Bauhausjahr 2019 stehen die Häuser Esters und Lange in Krefeld im Blickpunkt. Denn zahlreiche Veranstaltungen locken übers Jahr verteilt viele Besucher in die von Ludwig Mies van der Rohe entworfenen Architektur-Ikonen. Ein anderes Krefelder Gebäude im Bauhaus-Stil führt gemessen daran ein Schattendasein: die Villa Heusgen in Hüls.
So wie sich Laien den typischen Bauhaus-Stil vorstellen, sieht das weiße Flachdach-Gebäude auf einem 7000 Quadratmeter großen Grundstück am Talring aus – mehr noch als bei seinen berühmten Geschwistern an der Wilhelmshofallee. Gleichwohl wird es wenig beachtet. Der Grund ist einleuchtend: Das Haus gilt nicht als ein Werk des berühmten Ludwig Mies van der Rohe. Statt dessen taucht auf den erhaltenen Baugesuchs-Zeichnungen der Name eines Krefelder Architekten namens Rudolf Wettstein auf. Und auf dem Foto eines Baustellenschilds von 1932 ist zusätzlich der Name eines gewissen Willi Kaiser zu finden. 2014 titelte deshalb auch unsere Zeitung: „Villa Heusgen definitiv kein Mies-Bau“.
Doch wer waren die beiden Männer überhaupt? „Wettstein war Statiker und schon beim Bau der Häuser Esters und Lange tätig. Und Kaiser war ein Angestellter im Büro von Mies van der Rohe“, sagt Karl Amendt. Der Architekt ist seit 1999 Eigentümer der Villa Heusgen. Ihr wahre Erbauer, so seine feste Überzeugung, war aber Mies selbst. Schon seit Jahren kämpft er darum, dies auch zu beweisen. In jüngster Zeit hat er dafür wichtige Unterstützer gefunden.
Professor: Ohne direkten
Mies-Einfluss nicht denkbar
So wurde bei der Eröffnung der Ausstellung „Mies im Westen“ im Mai auch auf das Haus am Talring ein Schwerpunkt gelegt. Architektur-Professor Norbert Hanenberg von der THM Gießen traf dazu eine klare Aussage: „Ohne direkten Einfluss von Mies van der Rohe ist es nicht denkbar.“ Mehr noch: Das weiße Stahlskelett-Gebäude mit den bodentiefen Fenstern habe sehr große Ähnlichkeit mit einem Entwurf, den Mies 1931 bei einer Bauhausausstellung in Berlin präsentiert hatte. „Würde einer meiner Angestellten mich so kopieren, würde ich ihn verklagen“, sagte er in Anspielung auf Kaiser und Wettstein. Haus Heusgen sei sogar moderner, waghalsiger als die Häuser Esters und Lange, wo Mies 1927/28 bei der Umsetzung seines Entwurfs auf Wunsch der Auftraggeber diverse Kompromisse machen musste. Solche Kompromisse finden sich in der Villa Heusgen nicht. Für Professor Hanenberg braucht es daher auch keine Unterschrift auf einem Dokument, um die Urheberschaft nachzuweisen.
In der Beweiskette findet sich auch ein Brief, den der Hülser Architekt Herbert Füngerlings im vergangenen Juli an Karl Amendt geschrieben hat. Er berichtet davon, dass er 1957 als Mitarbeiter des Büros Stuhldreier bei der Restaurierung von Haus Esters mit den Architekturleistungen beauftragt worden sei. In dieser Zeit habe er fast jeden Tag Gespräche mit Frau Esters geführt. Dabei sei oft über die „drei Mies“ in Krefeld gesprochen worden – nämlich die Häuser Esters, Lange und Heusgen. Sie habe erzählt, dass die Familien befreundet waren, über die Familie Esters habe Familie Heusgen Ludwig Mies van der Rohe auch kennengelernt. Alle drei Familien stammen aus der reichen Krefelder Seidenindustrie – als Stoffproduzenten (Esters, Lange) und als Krawattenhersteller (Heusgen).
Sollten Probleme mit dem Bauantrag vermieden werden?
Aber warum sollte sich Mies zu seiner Urheberschaft an der Villa in Hüls nicht bekannt haben? Warum tauchen statt dessen Mitarbeiter von ihm auf den Dokumenten auf? Auch dazu gibt Herbert Füngerlings einen Hinweis: Frau Esters habe von Schwierigkeiten berichtet, in den 1920er Jahren für die modernen Neubauten an der Wilhelmshofallee eine Baugenehmigung von der Stadt Krefeld zu bekommen. Karl und Milly Heusgen hätten Jahre später diese Probleme nicht gehabt, da beim Bauantrag der Name Ludwig Mies van der Rohe bewusst unerwähnt geblieben sei. Die Familie Heusgen habe nämlich den Statiker die Anträge unterschreiben lassen. Darüber hinaus sei 1932, also kurz vor der Machtergreifung Hitlers, der neue Baustil stärker noch als Jahre zuvor in Deutschland abgelehnt worden, so Füngerlings.
„Jeder Kenner weiß, dass der Chef eines großen Architekturbüros nur ganz selten selbst Zeichnungen fertigt, sondern seine Ideen skizziert und seine Mitarbeiter anweist, delegiert und korrigiert“, ergänzt der Hülser Architekt. Und weist außerdem darauf hin, dass der langjährige Direktor der Werkkunstschule Krefeld, Professor Fritz Gottlieb Winter, sich sicher gewesen sei, dass Ludwig Mies van der Rohe Haus Heusgen geplant hat. „Anderenfalls hätte er seine Studenten nicht immer wieder auf das Gebäude als Musterhaus der modernen Architektur hingewiesen.“
Karl Amendt hatte diesen Brief mit Freude gelesen. Überrascht hat ihn dessen Inhalt nicht: Auch er selbst hatte ähnliches schon vor Jahren von Zeitzeugen erfahren. Denn schon lange vor dem Kauf der Hülser Villa, für deren Restaurierung er 2003 den Denkmalpreis der Stadt Krefeld erhielt, hatte er Kontakt zur Familie: Milly Heusgen beauftragte ihn 1974 als Architekten mit der Reparatur des Schwimmbads auf dem Gelände. Es war durch Bergschäden undicht geworden. Da sich die Reparatur als zu aufwändig, zu teuer herausstellte, folgte die Eigentümerin seiner Empfehlung, den Beckenrand abzutragen und das Becken selbst mit Mutterboden abzudecken. „Es liegt bis heute unter dem Rasen versteckt.“
Das gilt auch für die Fundamente von zwei Bauelementen, die nie verwirklicht wurden: Sogenannte Wandscheiben ohne weitere Funktion sollten nach dem ursprünglichen Entwurf in den Garten ragen und so den Blick des Betrachters lenken. Familie Heusgen hatte aber keine Lust, jedes Mal um diese Mauern herumlaufen zu müssen, weshalb sie schließlich weggelassen wurden.
Typische Gestaltungselemente
in Hülle und Fülle zu finden
Das ist eigentlich der einzige größere Unterschied zum Mies-Modell, das 1931 auf der Bauhaus-Ausstellung in Berlin präsentiert wurde. Die verkleidete Stahlstruktur, die elegante weiße kubische Form, fließende Räume, gerichtete Ausblicke, raumhohe Fenster, verdeckter Eingang, besonders gewendelte Treppe, dreigeschossige Bauweise, nach Norden ausgerichteter Wirtschaftsteil, großer Kamin, runde Stahlpfosten im Außenbereich – dies alles ist ansonsten fast 1:1 in Hüls zu finden.
So wie hier erstmals in Krefeld, also in Stahl und Glas, habe Mies später in den USA weiter gebaut, betont Karl Amendt. Die Villa Heusgen sei deshalb „eine Ikone der modernen Architektur“. Die Urheberschaft von Mies an dem Entwurf werde durch die Qualität der Architektur zweifelsfrei bewiesen. Von Wettstein oder Kaiser sei dagegen vorher und nachher nichts vergleichbares zu finden. „Es wäre deshalb jammerschade, wenn die Villa Heusgen weiter in die Ecke gestellt würde“, sagt Karl Amendt.