Martin Hentschel über das KWM: „Das ist kein Heimatmuseum“
Der Direktor über Krefelder Künstler und sein Konzept für die Wiedereröffnung.
Herr Hentschel, im Herbst 2014 soll das Kaiser-Wilhelm-Museum nach fünf Jahren wieder eröffnen. Wie sieht Ihr Konzept aus?
Martin Hentschel: Wir möchten unter Beweis stellen, dass wir auch nach dem Abzug der Sammlung Lauffs noch in der ersten Liga der deutschen Kunstmuseen spielen. Wir haben 500 Werke verloren, aber unsere Sammlung umfasst 14 000 Arbeiten. Die Highlights wollen wir in zwei Ausstellungen zeigen, die je acht bis zehn Monate dauern. Sie heißen „Das Abenteuer der Sammlung“.
Wird der Monet zu sehen sein?
Hentschel: Natürlich.
Was sonst noch?
Hentschel: Sylvia Martin und ich möchten Rückblicke wagen und ungewöhnliche Kombinationen herstellen. So werde ich mittelalterliche Madonnen zusammen mit Arbeiten von Kiki Smith zeigen und Yves Klein in Verbindung mit Blinky Palermo, Herbert Hamak und Alan Uglow. Da eröffnen sich ganz neue Horizonte, wenn man das nebeneinander stellt. Es wird eine Entdeckungsreise voller Aha-Erlebnisse.
Wie sieht es mit den Krefelder Künstlern aus?
Hentschel: Der Wohn- oder Arbeitsort Krefeld ist für die Einschätzung der künstlerischen Qualität irrelevant. Wir haben hier ja kein Heimatmuseum, sondern ein Haus von internationalem Rang. Aber die Bezüge ergeben sich automatisch.
Wo zum Beispiel?
Hentschel: Beim Beuys-Raum. Mit Arbeiten von Campendonk, Nauen, Luther und Zangs. Außerdem wird im zweiten Obergeschoss das riesige Wandgemälde von Thorn Prikker restauriert, das seit 50 Jahren verdeckt war.
Sie mussten sich jüngst wieder einmal der Kritik stellen, Luther und Zangs nicht genug zu würdigen.
Hentschel: Die beiden Künstler hatten einen Stellenwert über Krefeld hinaus — und haben ihn heute noch. Sie fallen nicht unter den Tisch, aber man darf aufgrund von Lokalkolorit nicht die künstlerische Gewichtung aus den Augen verlieren.
Was zählt dabei das Argument, dass solche Ausstellungen viel Publikum ziehen würden?
Hentschel: Das ist eine Behauptung, ein Trugschluss. Die Schau „Quer geschnitten“ mit aktuellen Krefelder Künstlern war nicht besser besucht als andere Ausstellungen im Kaiser-Wilhelm-Museum. Unsere Besucher sind mindestens zur Hälfte Auswärtige, zum Teil kommen sie sogar aus Frankreich oder Japan. Kunstinteressierte reisen viel. Das kommt auch den Krefelder Hotels und der Gastronomie zugute.
Angesichts der Debatten der vergangenen Jahre: Müssten Sie nicht manchmal diplomatischer sein?
Hentschel: Das kann schon sein. Aber was den Stellenwert der Kunst betrifft, kann ich keine Kompromisse machen. Wer in der Rangordnung der Museen oben bleiben will, muss erstklassige Kunst zeigen. Vertreter der aktuellen Krefelder Kunstszene werden, wie versprochen, regelmäßig in Studio-Ausstellungen zu sehen sein. Alles andere würde die Verhältnisse verschieben.
Welche Kandidaten haben Sie da im Hinterkopf?
Hentschel: Günter Dohr wäre ein Kandidat, auch Bart Koning. Außerdem drei, vier Künstler aus „Quer geschnitten“.
Fünf Jahre nach dem Abzug der Sammlung Lauffs: Wie schwer wiegt aus Ihrer Sicht der Verlust?
Hentschel: Es ist ein Verlust berühmter Namen: Oldenburg, Warhol, Lichtenstein. Aber das ist zu verkraften. Paul Wember hat in weiser Voraussicht durch Parallelkäufe fürs Museum eine Sicherung eingebaut. Zudem bereichern die Sammlung der Museumsfreunde und die der Ebers-Stiftung den Bestand massiv.
Über Wember erscheinen zurzeit viele Publikationen. Wie beurteilen Sie seine Ära?
Hentschel: Er hat eine gigantische und sehr mutige Leistung vollbracht, indem er US-Gegenwartskunst der Avantgarde ausstellte und einkaufte. Es ist sein Verdienst, dass uns andere, größere Museen heute um diese Werke beneiden. Man muss natürlich sagen: Er hatte es damals leichter. Der Markt war überschaubar. Heute ist es sehr schwierig, im weltweiten Kunstzirkus eine klare Linie zu finden.
Sie gehen 2016 in Ruhestand. Was sollte nach Ihrer 15-jährigen Ära unter dem Strich stehen?
Hentschel: Zum einen die Renovierung des Kaiser-Wilhelm-Museums. Ich will meinem Nachfolger ein gutes Haus hinterlassen. Zum zweiten habe ich in den Häusern Esters und Lange eine Serie von Ausstellungen gezeigt, die über Jahrzehnte in Erinnerung bleiben werden. Ich denke an Eric Fischl, Kiki Smith, John Baldessari, Karin Kneffel oder Mike Kelley.
Vor der Schließung waren die Besucherzahlen katastrophal. Wie möchten Sie das ändern?
Hentschel: Sie haben recht, die Zahlen waren katastrophal. Aber es gab keinen Etat für Ausstellungen. Binnen zehn Jahren konnten wir im Kaiser-Wilhelm-Museum insgesamt nur 95 000 Euro ausgeben. Damit lassen sich keine Wechselausstellungen organisieren, die das Haus beleben.
Haben Sie Hoffnung, dass sich diese Situation ändert?
Hentschel: Das Kaiser-Wilhelm-Museum wurde jahrelang stiefmütterlich behandelt, das geht auf keinen Fall so weiter. Man braucht 100 000 Euro pro Jahr, um das Haus vernünftig zu bespielen. Nur so lassen sich externe Förderungen anwerben. Man braucht einen Eigenanteil, sonst multipliziert sich der Mangel.
Gibt es Signale aus der Politik?
Hentschel: Die Spitzen der Kulturpolitik wissen das seit zwei Jahren, aber es gibt bisher keine Reaktion. Wir gehen auf die Wiedereröffnung zu und haben kein Geld — bis auf die Innenausstattung. Ich kenne kein anderes Museum, bei dem die Politik so mutig auf den Abgrund zusteuert.