Mathias Richling: „Kabarett stirbt erst aus, wenn die Politik stirbt“

Sarkastisch, gesellschaftskritisch und ehrlich: Mathias Richling kommt mit seinem Programm „Richling und 2084“ am Sonntag in die Kulturfabrik.

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Big Brother is watching you: Mit seinem dystopischen Roman „1984“ ist dem englischen Schriftsteller George Orwell Anfang der 50er Jahre ein Meisterwerk gelungen, das heute auf jedem Lernplan steht. Das Buch beschreibt eine Zukunftsvision eines totalitären Staates, in dem alle überwacht werden.

Kabarettist Mathias Richling stellt sich mit seinem neuen Programm „Richling und 2084“ ebenfalls einigen Zukunftsvisionen. Und zwar dem einiger Politiker.

Herr Richling, in Ihrem neuen Programm „Richling und 2084“ prüfen Sie heutige Politiker auf ihre Zukunftstauglichkeit. Auf welche Szenarien à la George Orwell müssen wir uns einstellen?

Mathias Richling: Wir müssen ja erkennen, dass Orwell unserer Zeit mit seiner Prognose vom super-kontrollierten Staat weit hinterher hinkt heute. Das Programm, das wie immer Günter Verdin mit großem Aufwand, wie etwa mit der Videowall, inszeniert hat, ist keine Sicht auf das Jahr 2084. Aber eine Anregung, weiterzudenken, wie es sein könnte, wenn wir so weitermachen wie bisher. Mit aller Selbstdarstellung und Eigenprostitution in den medialen Netzwerken. Mit der Bereitschaft, unsere Daten und damit uns verkauft zu sehen. Mit der Angst, allein zu sein, wenn wir das Smartphone aus der Hand legen.

War früher alles besser?

Richling: Ja, natürlich. Früher war immer alles besser. Haben Sie das nicht schon gelernt von Ihren Großeltern? Das Beruhigende ist, dass ja demnächst auch schon das Heute früher sein wird und damit besser als das, was danach kommt. Also auch die Zukunft wird irgendwann besser. Wenn sie nur erst früher sein wird.

Sind wir überhaupt noch zu retten?

Richling: Wir schon. Aber ich weiß nicht, wer „wir“ alles ist.

In Ihrem Metier sind Sie sozusagen ein „alter Meister“. Der heutige Comedy-Nachwuchs beschäftigt sich eher mit zwischenmenschlichen Problemen, weniger mit Politik. Woran liegt das?

Richling: Das liegt wohl an den unterschiedlichen Interessenlagen bei Publikum und Künstlern.

Darf man Kabarett und Comedy überhaupt in einem Atemzug nennen? Was sind die Gemeinsamkeiten, was die Unterschiede?

Richling: Wie wer zu atmen hat, und was er in einen Atemzug hineinpackt, werde ich ihm nicht vorschreiben. Humor ist wie ein Kaleidoskop — einfach schütteln. Mal kommt Kabarett, mal Comedy heraus. Mir liegt die Hochnäsigkeit, mit der manche Intellektuelle an Comedy herumschnüffeln, fern. Geschmackszensur ist etwas für Fundamentalisten jeglicher Couleur. Auch in der Behandlung zwischenmenschlicher Probleme liegt Gesellschaftskritik.

Stirbt Kabarett aus?

Richling: Nein. Das Kabarett stirbt erst aus, wenn die Politik ausstirbt. Und die Gesellschaft. Denn Kabarett bietet immer einen distanzierten, ironischen Blick darauf. Und je drastischer sich Politik und Gesellschaft verhalten, um so sarkastischer wird naturgemäß darauf reagiert.

In der Kulturfabrik in Krefeld gibt es jeden Monat einen „I love stand up“-Abend, bei dem Nachwuchstalente erste Bühnenerfahrung sammeln können. Was raten Sie jungen Kollegen?

Richling: Ich bin nicht ganz sicher, ob sich die Jungen gerne was raten lassen. Aber so viel: Das Geheimnis aller Glaubwürdigkeit ist Authentizität, wobei es in Anbetracht der großen Zahl von Talenten sicher immer schwieriger wird, einzigartig zu sein.

Welche Personen parodieren Sie am liebsten?

Richling: Das ändert sich täglich, je nachdem, auf wem der Fokus des Publikums liegt, auf welcher Debatte und auf welchem Reizthema. Es sind allerdings am liebsten die zu karikieren, die sich selbst am erkenntlichsten darstellen. Wie zum Beispiel ein Winfried Kretschmann, eine Frau von der Leyen, Frau Merkel, Herr Schäuble...

Können Sie über sich selbst lachen?

Richling: Mehr als über andere, allerdings nicht über eigene Texte. Täte ich das, würde die nötige Distanz fehlen.

Wie würden Sie sich selbst mit drei Wörtern beschreiben?

Richling: Ich beschreibe mich niemals. Es ist immer sinnvoll, wenn man ein Bild von sich haben möchte, andere zu fragen: Freunde, Kollegen, Mitarbeiter. Eigen-Beschreibung kann immer nur ausgesprochen subjektiv sein und entspringt großer Voreingenommenheit. Im Negativen übrigens wie im Positiven.

Was verbinden Sie mit Krefeld?

Richling: Krefeld ist eine links vom Rhein gelegene Großstadt im weiteren Dunstkreis von Düsseldorf und Duisburg. Sie ist kreisfrei. Hatte vor über hundert Jahren großen Seidenstoffproduktionen. Hat heute über 200000 Einwohner und . . . Aber wissen Sie das denn nicht?

Die Kulturfabrik wird überwiegend von ehrenamtlichen Mitarbeitern betrieben. Wofür engagieren Sie sich?

Richling: Meistens für Kinder in traurigen Lebenslagen.

Ihr Tipp für die Zukunft?

Richling: Es ist eine neue Welt, die gerade entsteht. Akzeptieren Sie sie, statt dass Sie auswandern, denn sie ist eh überall. Red