„Tu Gutes, sei freundlich und respektvoll“

Kashmir Karma heißt das neue Album der Band Selig, die am 15. April nach Krefeld kommt. Die WZ hat mit den Hamburgern über den Titel ihres Werks sowie ihre Vergangenheit und Zukunft gesprochen.

Foto: Mathias Bothor

Nach vierjähriger Wartezeit sind Selig mit ihrem neuen Album Kashmir Karma zurück. Dafür hatte sich die Band extra nach Schweden zurückgezogen. Am 15. April kommen die Hamburger in die Kulturfabrik. Sänger Jan Plewka und Bassist Leo Schmidthals haben verraten, was es mit dem Titel auf sich hat. Und stellen zudem klar, dass die Welt ein bisschen mehr Freundlichkeit und Respekt in Zeiten von pöbelnden Politikern vertragen kann.

Das neue Album heißt Kashmir Karma. Wie sind Sie auf den Titel gekommen? Und warum wurde dieser Titel jetzt gewählt und nicht bereits 2009 fürs Comeback-Album nach Ihrer Wiedervereinigung?

Jan Plewka: So hießen wir in den 90ern, bevor wir uns dann Selig nannten. Der Name hat uns aber erst jetzt gefunden. Ich glaube, es liegt an der Zeit. Die Welt ist so düster geworden, und dieser Hippie-Gedanke, den wir damals schon gefeiert haben, ist jetzt wieder zu uns zurückgekehrt. Das hört man der Platte auch an.

Leo Schmidthals: Kashmir Karma heißt so viel wie „Tu Gutes, sei freundlich, lass die Leute ausreden und gehe respektvoll mit Deinen Mitmenschen um, denke an die Kinder und an die Zukunft“. Es gibt gerade in der Politik so viele Idioten, die sich wie Kleinkinder im Sandkasten benehmen. Trump, Le Pen, Erdogan, die Mitglieder der AFD — da wird die Sprache ganz schrecklich missbraucht, da denkt man sich: „Oh Gott, was ist denn hier passiert?“ Es wird gar nicht mehr zivilisiert miteinander umgegangen. Doch man muss freundlich und nett sein.

Das neue Album haben Sie in Schweden aufgenommen. Gibt es in Deutschland keine angenehme Atmosphäre, um eine Platte aufzunehmen?

Schmidthals: Doch, aber wir wollten einfach mal raus. Als wir nach Schweden gereist sind, fielen wir in eine friedliche Welt. Allerdings war an unserem ersten Morgen Trump plötzlich Präsident, und das hat alles verändert. Man hätte nie gedacht, dass so ein Verrückter dieses Amt ausfüllt. Er hat die Macht am roten Knopf, und das kann einen nicht kalt lassen. Das hat uns sehr beschäftigt. Kashmir Karma steht also für ein Zusammenleben im Guten. Plewka: Wir wollten in Schweden Lieder schreiben, und da braucht man Konzentration sowie Inspiration. Meine Frau sagte zu mir: „Janni, fahrt doch in unser Haus nach Schweden.“ Sie hat das von ihrem Opa geerbt, er war Poet. Dieser besondere Spirit hängt noch heute in diesem Haus. Und für uns vier Leute war genug Platz, also war es perfekt zum Songs schreiben. Die „Mikrofonierung“ hat schließlich so gut funktioniert, dass dies die Produktion wurde. Es war plötzlich nicht nur der Ort zum Lieder schreiben, sondern gleichzeitig unser Studio.

Wie befreiend war es, dass weder die Plattenfirma noch das Management störten?

Schmidthals: Die Freiheit war, dass wir aus eigenem Antrieb und ohne Zwang von außen gesagt haben: „Wir wollen uns da treffen und uns für die erste Session zehn Tage Zeit nehmen.“ Ohne finanziellen Vorteil. Es ging nur darum, Musik zu machen und Songs zu schreiben. Wir hatten noch ein bisschen Geld auf dem Selig-Konto, haben die Fähre bezahlt und konnten hinfahren. Es gab keinen anderen Grund, um nach Schweden zu fahren und nach neuer Musik zu forschen. Wir waren konzentriert und mussten uns um nichts anderes kümmern. Wir waren in der Abgeschiedenheit so fokussiert auf das, was wir am liebsten machen. Mit Freunden. Was gibt es Besseres?

Herr Plewka, Sie erzählten in einem Interview auf Facebook, dass Sie eines Abends zusammengesessen sind und Sie sagten: „Ihr seid meine Freunde.“ Warum gerade in so einem Moment?

Plewka: Es ist viel passiert in dem ereignisreichen Leben, das wir alle führen. Und irgendwann stellst du dir die Frage: „Habe ich eigentlich noch wirklich echte Freunde?“ Ein Freund ist jemand, bei dem man sich nicht erklären muss. Wen würde ich anrufen, wenn es mir richtig schlecht ginge? Da würde ich meine drei Kollegen von Selig anrufen, meine Freunde. Das ist toll.

Schmidthals: Wir haben wirklich viel miteinander erlebt und Geschichten geteilt, die das Leben so schreibt. Da gehen die Anderen auch mit.

Musikalisch hat sich Selig nicht groß weiterentwickelt, das neue Album ist sehr rockig und schnörkellos. Zurück zu den Wurzeln also?

Plewka: Wir haben in unserem Leben viele musikalische Experimente gemacht. Das Debütalbum stand in den Läden immer im Deutschrock-Fach, die zweite CD war dann Indie. Mit dem dritten Album versuchten wir, den Zeitgeist zu übertrumpfen, und das ging schief. Wir zerstritten uns, und es folgte die Trennung. Dann kamen die drei Réunion-Alben, und da hatten wir zuletzt mit Steve Power, dem Pop-Produzenten schlechthin, das „Magma“-Album produziert. Jetzt ist die Reise vorbei, und wir wissen, was wir am besten können.

Schmidthals: Es ist so schön. Wir sind jetzt reif wie ein guter Wein. Jeder weiß, was er am besten kann und wirft seinen Charakter in das Selig-Ding rein, das hört man ganz gut bei „Wintertag“, den Song haben wir ein bisschen Beatles-mäßig abgemischt. In dem Lied gibt es Ecken und Kanten. Wir haben es wie eine Nahaufnahme gemacht, man kann sich in jedes Instrument vertiefen. Wir haben einfach die Mikros aufgestellt und drauf los gespielt, das war ganz pur. Und es war mutig.

Wo stehen Selig heute?

Plewka: Wir sind tatsächlich angekommen. Wir haben alles durchgemacht, was in einem Bandleben so passieren kann. Das Alter und die Tatsache, dass wir Familienväter sind, haben sicher damit zu tun, dass wir bei uns sind.

Schmidthals: Wir sind wieder eine richtig gute Rockband. Es ist wie eine Reinkarnation. Wir freuen uns tierisch auf die neue Tour. Rockband und Wärme, das geht. Wenn man als Band sich zusammen in einem Raum befindet und sich nicht wie früher die Tracks durchs Netz hin- und herschickt, wenn man begreift, dass Offline so wichtig ist, man mit dem Körper da steht und die Gesten und Schwingungen des Anderen mitkriegt. Das ist hervorragend. Wir sind so gespannt, wie es wird und wollen unbedingt dieses Gefühl auf die Bühne mitnehmen.