Konzert Max Herre: So war der Tourauftakt in der Kufa
Krefeld · Der Vorgeschmack auf das neue Album „Athen“ klingt nach einem ganz anderen, deutlich sphärisch-melancholischeren Stil. Doch von den Fans geliebte Klassiker von Freundeskreis gab es in Krefeld auch zu hören.
„Die mediale Definition von Hip-Hop is ‘ne Farce, wir tun, was wir immer taten, nur der Kontext is‘ im Arsch. Ich krieg‘ Kopfschmerzen von zuviel Popkonserven“, sang Max Herre mit Freundeskreis Ende der Neunzigerjahre im Hit „Esperanto“. Und wie recht sie schon damals – immerhin ist es 20 Jahre her – hatten. Seitdem hat sich in der Hip-Hop- beziehungsweise Rap-Welt einiges getan oder auch nicht, je nach Standpunkt.
Das neue Album „Athen“ von Max Herre erscheint am 30. August. In einer Tour, mit Auftakt in der Kulturfabrik in Krefeld, paarte er nun Schlaglichter auf seine alten Hits mit der Band Freundeskreis mit einer Vorstellung von Songs seines neuen Werkes.
Freundeskreis stand beziehungsweise steht für raffinierten Hip-Hop mit durchaus intelligenten, politisch aufgeladenen Texten, die auf der Folie von Rap nachdenkenswerte Reflektionen über auch jenseits des Mainstreams liegende Themen verarbeitete. Sie beziehen immer auch den Blick über den europäischen Tellerrand ein und rammten so manchen angespitzten Finger mit scharf gespitzten Worten in Wunden der Gesellschaft; indes verließen sie niemals ihre im Rahmen szenetypischer Ausnahmen kultivierte Sprache. Dabei ließ man sich auch auf ein Vokabular ein, das erfrischend hohe Sprache einbezog, tiefsinnige Gedanken mit typischen Rap-Mustern kombinierte, eingebunden in einen klassischen mitziehenden Hip-Hop-Sound.
Von Max Herre hatte man lange Zeit nicht mehr viel Eigenes gehört, bis auf die Konzerte zum 20. Geburtstag von Freundeskreis 2017 und weitere Konzerte 2018. Seit seinem Studioalbum „Hallo Welt“ (2012) und dem Live-Album „MTV Unplugged Kahedi Radio Show“ aus dem Folgejahr war es etwas still geworden um seine Solokarriere.
Doch nun gibt es Neues von ihm, und dieses Neue dürfte auf den ersten Blick, aufs erste Hören, deutlich aus einer anderen Tradition schöpfen, als man vielleicht erwartet hätte. In der ausverkauften Kulturfabrik stand er nun, authentisch und unkompliziert, ehrlich und so ganz und gar nicht mit Rap-Attitüde mit seiner Band vor einer großen Projektionsfläche, die Videosequenzen und zu den jeweiligen Songs passende Hintergrundbilder zeigte. Die intensiv mit verfremdeten – es ist nicht Autotune und ganz bewusst so produziert! – Singstimmen arbeitende Ästhetik von „Athen“ erfüllt die Kufa mit einer melancholischen, dunkelgolden gefärbten Atmosphäre. Gerappt wird zwar immer noch, doch die musikalische Umgebung schöpft aus einer Klangsprache, die sehr an aktuellen Deutsch-Pop erinnern könnte, das alles könnte sehr seicht sein, wären da nicht die geschickt konstruierten nahezu philsophisch anmutenden Texte, die sich auf die synthie-lastigen breiten Klangflächen legen, die nur sporadisch von perkussiven Einschüben unterbrochen werden. An die Tonsprache des „klassischen“ Hip-Hop, falls es so etwas überhaupt noch geben sollte, ist weniger zu denken. Es jazzte schon immer ein bisschen bei Freundeskreis, nun legt sich eine Weltmusik-Jazz-Mischung beredt auf den Duktus von Herres – neuem? – Stil. Es wird große musikalische Balladenleinwand aufgefahren, doch das ist nicht kitschig, keinesfalls. Und für alle, für die etwa die Klangwelt von „Villa Auf Der Klippe“ (feat. Trettmann) irgendwie nicht nach Max Herre klingt – so weit entfernt von dem, was Freundeskreis machte, ist das nicht. Vor allem durch die mehrdeutige zum Nachdenken anregende Sprache, die jenseits des Alltags-Neusprechs ist.
Deutlich wird, die Freundeskreis-Klassiker führen zu mehr Begeisterung bei dem Publikum; vor allem die Duette zwischen Herre und seiner Frau Joy Denalane sorgen für Hochgefühle bei den Krefelder Zuhörern.
Trotz aller vielleicht auch mal etwas enigmatischer Tiefsinnigkeit die Herres „Athen“ in sich zu tragen scheint, bleibt der Sänger und Rapper aber nach wie vor sehr politisch; bezieht Stellung, thematisiert beispielswiese die Situation von Flüchtlingen.
Als besonderen Gast hatte er Megaloh geladen, der ihn tatkräftig mit seiner deutlich fordernder gefärbten Stimme bei vielen Lieder unterstützte.
Natürlich durfte am Ende der große Hit „A-N-N-A“ nicht fehlen. Und was bleibt? Ist der neue Max Herre wirklich so neu, und ist dieser Sound noch das, was man von ihm als potentieller Fan erwarten würde? Es mag durchaus einen Diskurs geben in seiner Fangemeinde, und wahrscheinlich gibt es keine eindeutige Antwort.
Aber eines scheint klar: Max Herres Musik war noch nie oberflächlich eindeutig und ist es nun mit „Athen“ auch nicht. Man darf gespannt sein, welche Richtung die gesamte Platte einschlagen wird und ob sich die Herre-Freunde in den deutlich nebligeren Sound einhören werden oder wollen. Qualitäten hat das, was Herre zurzeit macht, definitiv.