Architektur Mehr als nur Mies: Die Architektur der 20er-Jahre

Krefeld · Interview Christoph Dautermann, stellvertretender Leiter des Museums Burg Linn, stellt sein Buch „Auf dem Weg zur Moderne“ über Krefeld vor.

Christoph Dautermann vor dem Haus am Vluyner Platz 6, einem typischen Backsteinbau in Krefeld.

Foto: Stadt Krefeld

Während der Weimarer Republik entwickelte sich Krefeld zu einer Großstadt. In den 1920er-Jahren plante und realisierte man in der Stadt ein Spektrum an Gebäuden zwischen Avantgarde und „gediegenem Bauen“. Im Bauhaus-Jahr fokussiert sich der Blick auf die Bauten des Architekten Ludwig Mies van der Rohe. Der letzte Direktor des Bauhauses realisierte die bekannten Villen Haus Lange und Haus Esters sowie seinen weltweit einzigen Industriebau an der Girmesgath. Der stellvertretende Leiter des Museums Burg Linn, Christoph Dautermann, hat sich intensiv mit dem Bauboom in der Weimarer Republik beschäftigt und die Ergebnisse in einem Buch zusammengefasst.

Herr Dautermann, das erste Haus im Bauhaus-Stil in Krefeld sind gar nicht die beiden Villen von Ludwig Mies van der Rohe, sondern das Haus Feubel an der Uerdinger Straße. Was können Sie darüber sagen?

Christoph Dautermann: Das sogenannte Haus Feubel von 1928, ungefähr gegenüber der Musikschule, ist tatsächlich das erste Gebäude im Bauhausstil in Krefeld. Ob der Bauherr Dr. Albert Feubel Kenntnis von den Bauten Mies van der Rohes hatte oder nicht, bleibt allerdings eine Vermutung. Der Baustil des Hauses spricht jedoch eine eindeutige Sprache: Mit diesem Haus hielt die Bauhaus-Architektur in Krefeld Einzug. Es ist hier der erste konsequent kubische Ziegelbau mit Flachdächern.

Was ist das für ein Bau und wer hat ihn entworfen?

Dautermann: Das Gebäude wurde nicht von auswärtigen, sondern von den Krefelder Architekten Ernst Schäfer und Josef Stumm geplant. Über die beiden Architekten und ihr Werk wissen wir leider kaum etwas. Sie hatten von 1928 bis 1937 eine Architektengemeinschaft. Schäfer wurde in seinem Nachruf als „Architekt und Heimatforscher“ bezeichnet. Lange hat er sich aktiv im Verein für Heimatkunde engagiert. Er war ein Schulkamerad Heinrich Campendonks und mit Heinrich Nauen befreundet, die in ihren Arbeiten auch die Bauhaus-Idee, dem zusammen wirken von Kunst und Handwerk, vorwegnahmen.

Welche „modernen“ Architekten haben noch in Krefeld gewirkt und gebaut?

Dautermann: Neben Mies van der Rohe war ein weiterer „Stararchitekt“ der Weimarer Zeit von dem Krefelder Seidenunternehmer Franz Steinert und seiner Frau Ilse Steinert mit dem Bau eines Wohnhauses an der Kliedbruchstraße beauftragt worden: Hans Poelzig. Er war einer der bedeutendsten Architekten der Moderne beziehungsweise des Expressionismus. Über die Arbeit der hiesigen Architekten liegen nur eingeschränkt Quellen vor, weil während des Zweiten Weltkriegs das Bauaktenarchiv der Stadt zerstört wurde.

Das moderne Bauen in den 1920er-Jahren spiegelt auch einen besonderen Geschmack wider. War das hier eher die Ausnahme?

Dautermann: Wie man an dem Haus an der Kliedbruchstraße von Hans Poelzig sieht, war der Baustil ein ganz anderer als der der Bauhausvertreter. Der ehemalige stellvertretende Leiter der Krefelder Kunstmuseen und spätere Direktor des K 21 in Düsseldorf, Julian Heynen, hat in einer Ausstellung zu August Biebricher einmal den treffenden Titel „Gediegene Bauten für geordnete Verhältnisse“ geprägt. So wirken die meisten Bauten, die in den 20ern in Krefeld entstanden sind, tatsächlich sehr gediegen und eher bieder, eher der Tradition verpflichtet und kaum avantgardistisch.

Waren die 1920er-Jahren eine Boom-Zeit in Krefeld?

Dautermann: Aus städtebaulicher Sicht auf jeden Fall. Zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte sich Krefeld zu einer Großstadt. Das erkennt man nicht allein an der privaten und gewerblichen Bautätigkeit in dieser Zeit. Ein Schwerpunkt lag etwa auf dem Bau von Siedlungen. Darüber hinaus wurden Grünanlagen angekauft oder gestaltet, Sportanlagen wie die Grotenburg-Kampfbahn realisiert.

Was für außergewöhnliche Bauprojekte wurden in den 20ern geplant, die jedoch nicht realisiert wurden?

Dautermann: Wie in anderen Großstädten plante man auch hier zu Beginn der 1920er-Jahre Hochhäuser zu errichten. Ein Entwurf von 1921 stammt von der Architektengruppe Hoppe-Wehling-Bommers. Bei ihm handelt es sich um die Errichtung eines Bürohauses am Hauptbahnhof. An der Westseite des Hansa-Hauses sollte direkt im Anschluss ein zwölfgeschossiges Bauwerk entstehen, ähnlich wie es in Düsseldorf realisiert wurde. Einen zweiten Entwurf für ein Bürohochhaus legten 1921 die Krefelder Architekten Geilen & Ostwald vor. Wenn die Planungen ausgeführt worden wären, stünde heute anstelle des Seidenweberhauses ein Büroturm aus den 1920er-Jahren.

Bei uns begegnet dem Backstein sprichwörtlich an jeder Ecke. Wie kam es dazu?

Dautermann: In Krefeld gehörten Karl Buschhüter und Carl Dahmen, aber besonders auch August Biebricher zu den Architekten, die schon vor dem Ersten Weltkrieg, vielleicht aus unterschiedlichen Motiven heraus, den Backstein zur Gestaltung der Außenwände konsequent einsetzten. Unterstützung erhielten sie durch die damaligen Denkmalpfleger und die „Heimatschutzbewegung“, welche den Einsatz des Backsteins als regionaltypisches Baumaterial propagierten. Sie sahen den Niederrhein als das „Stammland des Backsteinbaus“, auch wenn das nicht ganz stimmt, denkt man beispielsweise an die norddeutschen Backsteinstädte. Dass der Backstein als Wandverkleidung damals äußerst populär war, zeigen ja sogar die Häuser Lange und Esters. Er wurde also auch von den Vertretern der Moderne durchaus geschätzt. Red