Tanz Move! – Krefeld im Tanzrausch
Düsseldorf · Die Krefelder Tage für modernen Tanz gehen ab dem 12. Oktober in die nächste Runde. Zum 18. Mal gibt es Bewegungs-Kunst in der Fabrik Heeder zu sehen. Die Faszination von zeitgenössischem Tanz beruht auf vielen Facetten. Wir beleuchten diese und stellen das gesamte Programm vor.
Wenn Bewegung auf Ästhetik – mit Bedeutung aufgeladene Erfahrungsmomente –, Geschichten auf Schein und Anschein, Gedanken auf Gesten und Bilder auf Körper treffen, dann ist es wieder soweit: „Moderner Tanz“ – oder vielleicht besser, zeitgenössischer Tanz – erobert die Stadt. Seit 1994 gibt es die Krefelder Tage für eben jenen „modernen“ Tanz unter dem so eingängigen und treffenden Namen „Move!“. Zum 18. Mal präsentiert das Kulturbüro performative – das heißt darstellende – Kunst, die vornehmlich unter dem großen Begriff „Tanz“ subsumiert werden kann.
Wobei nicht erst seit gestern die Grenzen zwischen den performativen Künsten verschwimmen, viel Theater steckt im Tanz, bisweilen Tanz im Theater, Musik oder Klangkunst vermengt sich nicht selten mit Bewegungskunst und Bildende Kunst erobert die Bewegung für sich – all dies ist bekannt. Was allerdings heute mehr denn je so faszinieren mag, ist, wie sehr es „zeitgenössischem Tanz“ gelingt, auch mal als Gesamtkunstwerk Geschichten emotional und diskursiv derart aufzuladen, dass wir als Publikum das Gefühl haben mögen, in eigene sehr spezielle und in sich konsistente Sphären hineingezogen zu werden, die uns auf eine schöne Weise auch mal mit uns selbst in Dialog setzen. Kurz: Tanz erschafft Welten, in denen sich unsere eigene reale Welt spiegeln kann; Tanz erzeugt aber auch Emotionen und kann zum Dialog, auch politischem Diskurs animieren oder es sogar in sich bewirken.
Dieses Jahr sehen wir erneut eine vielseitige, ästhetisch teils anspruchsvolle, teils sehr neugierig machende Auswahl an Performances, die sich mal ganz subjektiv mal mit politischem Impetus einem breiten Spektrum an Themen widmen. Dabei stehen Arbeiten von Choreografen und Kollektiven aus NRW im Fokus, doch gehört es bei Move! auch zur guten Tradition, ein Gastland einzuladen; das bedeutet, man sucht sich Arbeiten aus einem bestimmten Land heraus und würzt somit das Profil des Festivals mit internationalem Flair. Und in der Tat tut sich viel Bemerkenswertes in der bunten und bisweilen sämtliche Grenzen überwindenenden zeitgenösisschen Tanzszene, europa- und weltweit.
Bei dem diesjährigen Move!, das am 12 Oktober beginnt und bis zum 23. November dauern wird, bildet Belgien den Länderschwerpunkt, im engeren Sinne sogar Brüssel selbst. Drei Compagnien aus der belgischen Hauptstadt sind somit zusätzlich zu den sieben aktuellen Produktionen aus NRW in Krefeld zu sehen.
Wir haben einen chronologischen Überblick zusammengestellt (alle Aufführungen auf der Studiobühne I der Fabrik Heeder, Virchowstr. 130):
Samstag, 12. Oktober, 20 Uhr Die Eröffnung von Move! wird sogleich belgisch, zeigt aber zugleich in seiner Art, wie viele Facetten zeitgenössischer Tanz hat. Compagnie Giolisu, unter Federführung von Lisa Da Boit und Céline Curvers, haben sich in ihrer Arbeit „Il Dolce Domani“ aus dem Jahr 2014 einem sonderbaren Wiedersehen vierer Menschen gewidmet. Eine Frau und drei Männer treffen sich nach langer Zeit in einem Ballsaal wieder. Doch liegt ein Geheimnis zwischen ihnen, das sich hermeneutisch in einzelnen Szenen widerspiegelt. Situationen, die auch Schwächen und Unzulänglichkeiten herausschälen fügen sich zu einer Art Stillleben, das über das Eigentliche hinausgehend auch Bezüge zur aktuellen sozialpolitischen Realität in sich tragen soll. 2015 wurde die Choreographie, die von Michael Hanekes Film „Liebe“ inspiriert wurde, übrigens als beste Tanzperformance beim Prix de la Critique, Belgien, ausgezeichnet.
Donnerstag 17. Oktober, 20 Uhr Die Emanuele Soavi incompany hatte sich im Auftrag des Kulturbüros schon für das Format „Move! in town“, bei dem Performance in den öffentlichen Raum eindringt und ihn bespielt, mit dem Themenfeld des Jacques-Offenbach-Jahres 2019 befasst. Jener Komponist, dessen Operetten weltbekannt sind, wäre 200 Jahre alt geworden und Soavi hat eine Art Performance-Parcours mit dem Titel „Larmes bouffes – Komische Tränen“ geschaffen, die im Sommer in und vor der Hochschule Niederrhein zu sehen war. Aus dieser Performance hat man nun in Kooperation mit der Kölner Offenbach-Gesellschaft ein Stück für die Bühne arrangiert, was den Titel „Invasion“ trägt. Hier sollen Offenbach auf Elektronik, zeitgenössischer Tanz auf Mode treffen, versprechen die Macher. Viel Dialektik, die sich vielleicht zu einer kritischen Masse fügen wird.
Sonntag, 20. Oktober, 18 Uhr CocoonDance vom Choreografen Rafaële Giovanola und dem Dramaturgen Rainald Endraß widmet sich Geistern. Geister, das Unsichtbare und doch bisweilen Spürbare, Schauer und mystische Präsenz zugleich, ein Erahnen oder auch Negieren, spielen in „Ghost Trio B – corps multiples“ die Hauptrolle. Man muss nicht an übersinnliche Mächte glauben, um sich Gedanken um die Geisterhaftigkeit zu machen, es reicht ein Blick in die Gedankenwelten so manchen philosophischen Klassikers. Wie real ist mein Bild von mir, wie real ist das Fremde, ist der Spiegel meiner selbst im Anderen? Dabei ist das Publikum selbst Teil dieser Meta-Geisterstunde. Sinnlich musikalisch umrahmt durch „Ghost Trio A“ von Jörg Ritzenhoff. Eine Komposition, die sich von Beethovens Trio op. 70, dem „Geistertrio“ inspirieren ließ.
Samstag, 26. Oktober, 20 Uhr Ayelen Parolin aus Brüssel lässt in „Autóctonos II“ Musik – in Person der Pianistin und Komponistin Lea Petra – auf Bewegung, Tanz treffen, ist der innere Motor dieser Arbeit auch explizit ein abstrakter mechanisch, ja mathematischer Blick. Es geht um Risse in einem als allmächtig sich gebärdenden System, um Schwächen des Individuums, um Gruppendruck, um das sich unerbittlich drehende Rad der Produktivität. „Autóctonos II“ ist für die Charleroi Danse Biennale 2017 entstanden.
Mittwoch, 30. Oktober, 20 Uhr „L‘état des choses“ (Der Stand der Dinge) vom Kaiser Antonino Dance Ensemble – das sind Avi Kaiser und Sergio Antonino – ist von Michel Foucaults Essay „Der utopische Körper“ (Radiovortrag aus dem Jahr 1966) inspiriert. Alle Lebewesen sind in ihren Körpern gefangen, wir sind zeitgleich unser Körper, können ihn mal mehr, mal weniger kontrollieren, doch dies gilt auch umgekehrt: Auch unser Körper selbst definiert uns als Mensch, beeinflusst uns unentwegt.
In dieser Performance geht es um die Erfahrbarmachung von dem Körper als Akteur. Zwei Tänzer spiegeln sich, humorvoll, absurd mag dies bisweilen wirken und dennoch tragisch mit Blick auf die Ausweglosigkeit des Menschseins.
Samstag, 2. November, 20 Uhr An diesem Abend stehen alle Zeichen auf Film. Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zeigen in der Fabrik Heeder ein Tanz-Kurzfilmprogramm aus dem Oberhausener Archiv. Insgesamt zehn Tanzfilme, entstanden zwischen 1999 und 2019, werden in einem 70-minütigem Programm gezeigt.
Donnerstag, 7. November, 20 Uhr Julia Riera – unter ihrem Label Mira – thematisiert in ihrer Arbeit „Mira 7_Thuley“ Grenzen und Begrenzungen. Fünf Performer, unter ihnen zwei tanzbegeisterte Jugendliche aus Afghanistan, werden Emotionen wie Fremdheit, Isolation und Stille als Sehnsucht und Bedrohung in Bewegungs-Kunst übersetzen. In die Inszenierung eingebunden die Klänge aus der Feder des Komponisten Philip Mancarella. „Mira 7_Thuley“ wurde 2018 mit dem Kölner Tanztheaterpreis ausgezeichnet.
Freitag, 15. November, 20 Uhr „Pour Miles D.“ – bei dem Titel dürften bei jazzafinen Menschen sämtliche emotionale Signalgeber auf Hochtouren kommen. Und in der Tat verbirgt sich hinter diesem Herrn D. der legendäre Jazzmusiker und Komponist Miles Davis. Die Tchekpo Dance Company, das ist in diesem Fall ein Solo von Tchekpo Dan Agbetou, gestaltet in diesem Stück eine Hommage an den Musiker und bedient sich dabei einer speziellen Art des Jazztanzes, dem „Jeux de Jambes“.
Doch an diesem Abend gibt es noch eine weitere Performance zu erleben. Danilo Valpassos Cardosos (Samadhyana Company) „Betrachtung“, die der Frage nachgeht – wie der Titel schon verrät –, was es mit dem Betrachten auf sich hat. Uns das erste Mal, das letzte Mal oder auch immer wieder betrachten. Was macht den ersten Blick in einer Begegnung aus, was den immer wieder neuen Anstoß des Betrachtens. Eine Mann-Frau-Begegnung, ein Duett, das auch mit Gravitation, der Schwerkraft, der schwere der Kraft zu spielen vermag.
Sonntag, 17. November, Studiobühne 2, 18 Uhr (auch am 19. November, 10.30 Uhr) Bei dem Move! Familientag gastiert das „Papierstück“ der Tanzfuchs Produktion aus Köln. In einem humorvollen Duett möchte die künstlerische Leiterin Barbara Fuchs der Faszination des Papiers widmen. Was kann man nicht alles Schönes mit dem knisterigen dünnen Material machen? Diese Ode an das Papier richtet sich ganz explizit an jedes Alter, vor allem aber auch an das junge Publikum. „Papierstück“ wurde mit dem Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis 2018 der SK Stiftung Kultur Köln/Bonn ausgezeichnet und für das Kinder- und Jugendtheaterfestival Westwind 2019 in Oberhausen ausgewählt.
Dienstag, 19. November, 20 Uhr Julio César Iglesias Ungo und Helder Seabra – ein Brückenschlag zwischen Bochum und Antwerpen – holen die düster neblige, schaurig sanfte Stimmung der Nacht auf die Bühne. „The Well in the Lake“ ist ein in Bewegung gesetztes Notturno – ein Nachtstück. Als Duett – oder wie in der Tanzsprache gerne tituliert Pas de deux – entsteht vor den Augen des Publikums ein auf zwei Menschen und ihre Umgebung fokussiertes Werk. Vielleicht zwei Gestrandete, die sich in eine Zirkulärität von Kreation und Destruktion verlieren. Transformieren die Tänzer den Raum – oder ist es umgekehrt? – fragen die Veranstalter. Man darf gespannt sein auf diese Ambiguität, auf diese Ungewissheit, die einen doch gerne in der Nacht beschleichen kann.
23. November, 20 Uhr Die Anton Lachky Company aus Brüssel präsentiert „Ludum“ – Der Begriff lässt Assoziationen zum Lateinischen aufkommen, Spiel oder auch Scherz möge einem in den Sinn fahren. Hier soll es sich indes um die Bürger einer Stadt oder eines Landes Namens „Ludum“ handeln, die es lieben „sich in der Wildnis der Virtual Reality zu verlieren“, heißt es etwas enigmatisch in der Ankündigung. Doch hinter all dem heiteren bunten Spiel mit der Bewegung steckt eine ernsthafte Überlegung: Wie entstehen Realitäten? Fantasien und Wünsche erzeugen neue Träume, neue Vorstellungen von Wirklichkeit. Wie lassen sich Träume und Wahrheiten unterscheiden und sind Träume nicht auch auf eine eigene Weise wahr? Diese Tanzperformance richtet sich an Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen.
Vom 12. Oktober bis zum 20. Dezember In der Eingangshalle des Hauptbahnhofs Krefeld und dem Innenhof und Foyer der Fabrik Heeder ist zudem ein Tanzfilm „im virtuellen Raum“ zu sehen. Mark Sieczkarek Company, gemeinsam mit dem Wuppertaler Videokünstler Kai Fobbe, hat eine besondere Art der Performance geschaffen. „Malou & Dominique“ ist ein Episodenfilm, der virtuell betrachtet werden kann. Das Sichten des Films – durch Scannen eines QR Codes an den angegeben Orten – ist kostenfrei. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn werden zahlreiche Bahnhöfe in NRW mit dem Film bespielt.
Zu dem extensiven Programm von Move! gibt es zudem ein vielseitiges Begleitprogramm. Beispielsweise Gesprächsformate nach den Performances, wie den Move-Talk, fallweise Einführungen vor den Stücken, aber auch einen Tanzworkshop für Menschen ab 55 Jahre (16. November) oder auch etwa eine „Physical Introduction“ vor „The Well in the Lake“ (19 Uhr), bei der das Publikum selbst durch einfache Übungen auf das Stück sensibilisiert werden soll. Auch Blicke Backstage sind möglich (zu Gast bei CocoonDanceSamstag, 19. Oktober)
Alle Informationen zu dem gesamten Programm und Karten bei dem Kulturbüro der Stadt Krefeld (Friedrich-Ebert-Straße 42), telefonisch unter 0 21 51/58 36 11, per E-Mail kultur@krefeld.de und online.