Kultur „Tagebuch der Anne Frank“ als kunstvoller Dialog in einem Bunker

Krefeld · Das Theater Krefeld und Mönchengladbach hat einen Film veröffentlicht, der sich sowohl schauspielerisch als auch musiktheatralisch mit dem Tagebuch der Anne Frank auseinandersetzt. Das Video ist ab jetzt abrufbar.

Im Kulturbunker Güdderath nähern sich die Schauspielerin Vera Maria Schmidt (rechts) und die Sopranistin Penny Sofroniadou mit den Mitteln ihrer Kunst dem Schicksal Anne Franks.

Foto: Matthias Stutte

Zwei Frauen, eine Opernsängerin (Penny Sofroniadou) und eine Schauspielerin (Vera Maria Schmidt), zwei künstlerische Annäherungen. Auf der einen Seite über den Weg des schauspielerischen Ausdrucks, auf der anderen Seite in Form von ausdrucksvollem Klang und Gesang mit Ausschnitten aus der Mono-Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ von Grigori Frid. Ein innerer Dialog zwischen zwei Seiten der gleichen Figur entsteht. Musik und Gesang fügt sich mit Prosa zu einer wunderbaren Mischung, die einen berührt.

Katja Benings Inszenierung in den Räumen des Kulturbunkers Güdderath spart nicht an starken emotionalen Momenten; vor allem auch am Wechsel zwischen düsterem Ernst und melancholisch eingefärbter Suche nach einer Leichtigkeit – eine Dualität, die sich so auch ganz explizit im Tagebuch von Anne Frank spiegeln lässt. Die nicht nur durch die Akustik des Bunkers immer ein wenig wie aus einer Zwischenwelt hineinstrahlende Musik unter der Leitung von Michael Preiser, der auch am Klavier sitzt und von Dominik Lang (Schlagwerk) und Georg Ruppert (Kontrabass) von den Niederrheinischen Sinfonikern unterstützt wird, breitet sich über die mit Plastikplanen verhangene Schleierwelt des Bunkers aus (Ausstattung: Zdzislawa Worozanska-Sacher, Bernhard Petz, welche die Besitzer des Bunkers sind). Wie eine aus kindlicher Seele emporsteigende innere Stimme singt Sofroniadou mit unverstellter Direktheit.

Der Dialog der jugendlichen Anne Frank mit ihrem Tagebuch in einer überaus dunklen Zeit, erhellt durch das Licht kindlicher Fantasie, die auch immer von Zerstörung bedroht ist, lässt niemanden kalt. Inspirierte Generationen, sich einerseits ganz unmittelbar mit dem Schicksal der 1945 im KZ Bergen-Belsen verstorbenen Anne Frank zu befassen, sich die unmenschlichen Umstände vor Augen zu führen, in denen dieser junge Mensch mit sich stets um Menschlichkeit stritt. Andererseits ist das Tagebuch der Anne Frank zu einer Folie, einer Projektionsfläche geworden für weit über die Geschichte dieses Mädchens und ihrer Familie, die sich ab Juli 1942 in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckten, hinausgeht.

Durch den Bunker entsteht eine zusätzliche ästhetische Ebene

In diesem Spannungsfeld muss sich jede Auseinandersetzung mit dem Thema Anne Frank bewegen. Und in dieses Spannungsfeld gehört auch der Bunker, in dem das Ganze hier inszeniert ist. Übrigens: mit viel Gespür gefilmt von Ullrich Bohn, Theater-tv. Ein Bunker als Sinnbild für Krieg, in Deutschland im Speziellen auch für den Wahn der Nationalsozialisten, als Ort für eine Geschichte über eines der Opfer jener Schreckensherrschaft? Wie schwer wiegt diese ästhetische Schichtung? Ästhetisiert man etwas, was nicht ästhetisiert werden sollte? Diese Frage ließe sich generell stellen, doch geht sie hier fehl. Viel mehr hilft uns die hier gewählte Mischung mit den Mitteln der künstlerischen Transformation den Betrachter in eine Reihe von Assoziationsketten zu entführen, die sehr kraftvoll wirken. Eben durch den Kontext.

Am 12. Juni hätte Anne Frank Geburtstag gefeiert – diese Produktion, die auch ihre leichten Momente hat, wie der sommerliche Bogen vom Anfang zum Schluss mit einer Picknick-Situation, ist ein beseeltes Geburtstagsgeschenk. Auch durch das wirklich grandiose Spiel von Vera Maria Schmidt.