TAM: Auch Klaviere können husten
Pit Therre spielt Gerhard Rühm – und das klingt, nun ja, wunderlich.
Krefeld. Der poetische Befund ist klar und unerbittlich: Bei Opitz ist alles eitel, bei Goethe auch über den Wipfeln Ruh’, Nietzsche weiß, dass alle Lust Ewigkeit will, und bei August Stramm stehen Raum und Zeit gleich ganz still. Bekannte Literatur - doch wie klingt die wohl auf dem Klavier?
Die "tondichtungen für klavier" von Gerhard Rühm stehen im Januar auf dem Programmzettel des Fischelner Theater am Marienplatz (TAM). Der experimentelle Autor, Komponist, Visualist, unermüdliche, konkret poetische homo ludens und Mitbegründer wie Mentor der weltberühmten "Wiener Gruppe" ist im TAM zuhause.
Seine letzten runden Geburtstage feierte Rühm hier mit regelrechten Sprachfesten. Und gerade seine sperrigsten und entlegensten Werke wurden in Fischeln uraufgeführt.
Auch die fünf gespielten Tondichtungen sind harter Tobak: Als literarische Vorlage dienen mal die vier berühmten deutschen Gedichte, mal in "pornophonie" das Schicksal einer Frau, die Befriedigung allein im Belauschen fremder Liebesgeräusche findet.
Ob die "amseln verstummen in den städten" oder das Klavierspiel von "zwei lesbische episoden" sogar mit Dia-Projektionen unterstützt wird - unterschiedliche "transformationmethoden" bringen die Literatur auf die Tastatur.
Aus Texten werden bei Rühm Partituren. Hausherr Pit Therre selbst arbeitet sich am Klavier durch diese "tondichtungen".
Manches klingt wie Benny Goodman, aber rückwärts gespielt, anderes erinnert den Rezensenten an den alten Saab, den er einst fuhr. Einige Passagen lassen die Vermutung aufkommen, auch Klaviere können husten.
Ob meisterlich oder leidlich, nur selten vermag das unkundige Ohr eine Spannung zwischen der musikalischen Transformation und dem Ausgangsmaterial erkennen.
Alles klingt, man möchte sagen: wunderlich. Jedoch: Der anwesende Gerhard Rühm war sichtlich begeistert, Pit Therre hörbar erleichtert, und das Publikum sparte nicht mit Applaus.