Textilmuseum: Detektivarbeit in Krupps Archiven
Zwei edle Bänke aus der Villa Hügel sind in Linn zu sehen.
Krefeld. Die Anrede dürfte weitgehend ausgestorben sein: „Hochverehrter Herr Geheimrat“ steht in sauberer Schrift über dem 115 Jahre alten Brief. Der Empfänger ist Friedrich Alfred Krupp, Großindustrieller und Teil der Essener Firmen-Dynastie. Das Schreiben erreicht ihn aus Schweden, wo ein gewisser Viktor Berg die Geschäfte des Konzerns führt. Doch in seinen Zeilen geht es nicht um Stahl, sondern um Kunst.
Der Brief ist Teil einer kleinen, feinen Ausstellung im Textilmuseum in Linn. Fast schon zufällig ergab sich die Möglichkeit, dieses spannende Kapitel der Kunstgeschichte dort zu erzählen. „Alles begann mit einem Restaurierungsauftrag“, sagt die Leiterin Annette Paetz genannt Schieck.
Der Auftrag kam aus der Villa Hügel in Essen, dem ehemaligen Familiensitz der Krupps. Dort befanden sich zwei Jugendstilbänke mit gewirkten Bezügen, die dringend aufgearbeitet werden mussten. „Im Vorfeld war unklar, wie und wann die Bänke nach Essen kamen“, erzählt Schiecks Stellvertreterin Isa Fleischmann-Heck.
Für die Forscherin begann eine Detektivarbeit, die sie ins Historische Archiv Krupp führte. Dort fand Fleischann-Heck unter anderem jenen Brief Viktor Bergs an den werten Herrn Geheimrat.
Wie sich herausstellte, hatte Friedrich Alfred Krupp, Enkel des Firmengründers, die Bänke 1898 persönlich bei einer Kunstgewerbefirma in Stockholm bestellt. Die Entwürfe — ein Muster aus Mohnblumen und das Bild einer Eulenfamilie — stammten vom damals berühmten Künstler Alf Wallander. „Er gilt als Begründer moderner Textilkunst in Schweden“, sagt Fleischmann-Heck.
In dem skandinavischen Land sei die Textilkunst der wichtigste Beitrag zum Jugendstil gewesen: „Das Stockholmer Nationalmuseum hätte die Bänke sicher gerne in seinem Besitz.“ Im Jahr 1900 waren die Entwürfe sogar bei der Weltausstellung in Paris zu sehen.
Wie alte Fotos beweisen, standen die Bänke lange in der Eingangshalle der Villa Hügel vor der Tür zur Bibliothek. Daran lässt sich laut Fleischmann-Heck deren Wertschätzung ablesen: „Das waren repräsentative Räume, in denen Gäste und Kunden empfangen wurden.“ Eines durften die allerdings schon damals nicht: auf den Bänken Platz nehmen.
Obwohl sie nur zur Zierde benutzt wurden, hatte die Zeit ihre Spuren auf den Stücken hinterlassen. In rund 200 Arbeitsstunden haben Restauratorin Petra Brachwitz und ihre Kolleginnen die Stoffe auf den Holzbänken gereinigt und aufgearbeitet. Löcher wurden mit dem darunter vorhandenen Original-Material geflickt. Drei Wochen lang sind die Bänke in Linn zu sehen. Von einem Foto blickt Geheimrat Krupp auf sie hinab — und sieht aus, als wäre er zufrieden mit der Arbeit der Restauratoren.
Deutsches Textilmuseum Linn, Andreasmarkt. Bis 3. Februar.