Theater: Bloß nicht dumm werden

Intendant Jens Pesel begrüßt zur neuen Spielzeit die Belegschaft – und lästert über die Politik.

Krefeld. Natürlich. In Mönchengladbach muss mal wieder alles schöner, größer und besser sein als hier. Sogar Krefelds Kulturdezernent Roland Schneider überfallen angesichts des Theaters im Nordpark (TiN) leichte Neidgefühle. Die Halle, die 18 Monate lang als Ersatzspielstätte dienen wird, ist riesig und entsprechend großzügig eingerichtet. Das beliebte TaZ auf dem SWK-Gelände wirkte dagegen wie ein Container.

Immerhin, eines haben sie nicht in Gladbach: Stühle. Bei der gestrigen Begrüßung durch Generalintendant Jens Pesel muss die Belegschaft stehen bleiben. Letzteres passt ja irgendwie zum nahe gelegenen Fußballstadion.

Noch bevor der Intendant seine letzte Spielzeit mit der traditionellen Rede einläuten kann, wird er von rund 400 Stimmen unterbrochen. "Happy Birthday, lieber Jeeeheens", schallt es durch den Saal. "Es ist schrecklich, 64 zu werden", bekennt Pesel. "Aber noch schrecklicher ist, nicht 64 zu werden." Diese trockene Spitzfindigkeit ist bloß der Anfang - die ganze Rede ist ein echter Pesel: Gespickt mit Seitenhieben, garniert mit Bonmots und gewürzt mit kleinen Giftigkeiten gegen Politik und Verwaltung.

In einer Zeit, in der die Kultur den Regeln der Ökonomie unterworfen werde, sei "die Selbstausbeutung des Personals das wahre Kapital", sagt Pesel. Angesichts der Finanzdebatten erinnert er an den dänischen König Christian VIII., der in Krisenzeiten den Etat für Kultur und Bildung erhöhte: "Arm und elend sind wir schon", entgegnete er seinem Finanzminister. "Wenn wir jetzt auch noch dumm werden, können wir aufhören, ein Staat zu sein."

Wie gewohnt, lässt Pesel die unsäglichen Aufführungen des politischen Sommertheaters Revue passieren, freut sich auf den Wahlkampf als "Wettrennen der trojanischen Pferde" und bleibt immer wieder bei der darbenden Wirtschaft hängen. Das Theater dürfe nicht zur "Krisenverwurstungsmaschinerie" verkommen, betont Pesel, aber es müsse polarisieren und polemisieren, mutig und risikofreudig sein, ohne moralisch zu werden. Für seine letzte Spielzeit wünscht Pesel sich mit Søren Kierkegaard eine "lebensfrische, möglichkeitsreiche Unruhe". Und - wenn möglich - ein paar Stühle für sein Publikum.