Ganztag: „System hat Schwachstellen“
Die Folgen des Ganztags für die Vereine sind immens. Experte Matthias Kohl erzählt aus dem Alltag.
Krefeld. Der vermehrte Ganztag in Kindergärten und Schulen hat die Welt des Vereinssports erheblich verändert. Nach einer sehr holprigen Anfangszeit arrangieren sich immer mehr Vereine mit dem Modell, haben ihren Weg gefunden, um Nachwuchs zu finden.
In einer Serie stellt die WZ die Veränderungen und Reaktionen einiger Vereine auf den Ganztag/G8 vor. Zum Auftakt sprach WZ-Sportredakteur Daniel Gonzales mit Matthias Kohl, Referatsleiter Kinder- und Jugendsportentwicklung beim Landessportbund in Duisburg.
Herr Kohl, gibt es überhaupt Vereine, die sich dem Thema Ganztag/G8 entziehen können?
Matthias Kohl: Im Grundschulbereich gibt es mittlerweile nur noch vereinzelt Einrichtungen, die über keinen Ganztag verfügen. In der Sekundarstufe I waren es zu Beginn nur die Gesamtschule, mittlerweile sind alle Schulformen betroffen, auch die neuen Gebilde wie Sekundar- oder Verbundschule. Wir haben diese Entwicklung frühzeitig kommen sehen und arbeiten seit 2009 mit mehreren Programmen daran, die Auswirkungen auf die Vereine abzumildern.
Erkennen Sie bereits erste Erfolge?
Kohl: Ja, durchaus. Im Schulbereich muss man feststellen, dass Sport im Ganztag das Angebot Nummer 1 ist, also noch vor anderen Angeboten wie Kreativ- oder Bildungsangeboten. Das ist zunächst positiv zu sehen, weil auf der Gegenseite von den drei Stunden Sportunterricht, die vorgesehen sind, längst nicht alle gegeben werden oder die Qualität in Frage gestellt werden kann. Zudem ergibt sich ein riesengroßes Feld von langfristigen Kooperationsmöglichkeiten für Vereine vor Ort, die weit über bisher dagewesene punktuelle Dinge wie AGs, gemeinsame Sportfeste oder Projektwochen hinausgehen.
Wie viele Vereine machen bereits mit?
Kohl: Wir wissen aus Befragungen, dass bereits knapp die Hälfte der Sportangebote im Ganztag von Vereinen oder Sport-Institutionen wie Stadtsportbünden durchgeführt werden. Wir sind dort aber längst nicht am Ende angelangt, das Thema Qualität der Angebote ist der zweite Schritt.
Vereine, die noch nicht mitmachen oder wieder ausgestiegen sind, klagen über den bürokratischen und finanziellen Aufwand. Zu recht?
Kohl: Was die Träger der Ganztagsangebote angeht, gibt es Schwachstellen. Zum Beispiel gibt es Modelle mit gemeinnützigen GmbHs, die lieber eigenes Personal einstellen, statt Kooperationspartner ins Boot zu nehmen. Das sind dann oft Erzieher ohne sportfachlichen Hintergrund. Manchmal wird von den Vereinen verlangt, ehrenamtlich zu arbeiten, obwohl es ausreichend gefüllte Töpfe für Übungsleiter gibt. Weiteres Problem: Die Bezahlung ist längst nicht überall gleich. Eine Stichprobe unsererseits ergab eine Spanne von sieben bis 30 Euro je Unterrichtseinheit.
Wie können solche Auswüchse verhindert werden?
Kohl: Wir haben gemeinsam mit den Stadtsportbünden Koordinierungsstellen eingerichtet, die den Überblick behalten sollen und an die sich sowohl Vereine als als auch Schulen mit Fragen und Problemen wenden können. In Krefeld übernimmt diese Aufgabe Jutta Zimmermann vom SSB. Zwei Städte, nämlich Essen und Düsseldorf, haben mit den örtlichen Stadtsportbünden sogar Generalverträge für den Sport im Ganztag geschlossen. Die jeweilige Stadt gibt Geld an den SSB, der die Verteilung regelt. Dieses Modell ist der Durchbruch und sollte Ziel möglichst vieler Beteiligter sein.
Wie können Vereine geeignetes Personal finden oder qualifizieren?
Kohl: Es gibt Vereine, die sehr erfolgreich Kleinanzeigen geschaltet haben. In Leverkusen zum Beispiel hat ein Verein 25 Angebote erhalten. In NRW gibt es keine Vollbeschäftigung. Für andere ist es ein lukrativer Nebenjob, bei dem man gleichzeitig der Allgemeinheit etwas gutes tut. 2400 Euro im Jahr dürfen Übungsleiter steuerfrei einnehmen. Sicherlich müssen sich größere Vereine oder kleinere gemeinsam mit Anderen Gedanken über hauptamtliche Trainer machen. Was die Refinanzierung angeht, bieten sich Gastmitgliedschaften für die Schüler im Verein an, die in vielen Fällen zu regulären Mitgliedschaften führen. Es gibt sogar Modelle, in denen Beiträge aus vorhandenen Töpfen in die Vereinskassen fließen können.