Jahrhundertspiel: Die phänomenale Aufholjagd

Das Jahrhundertspiel des FC Bayer läuft am Samstag nochmal im Dritten Fernsehprogramm.

Krefeld. Warum um alles in der Welt nicht Borussia Mönchengladbach gegen Inter Mailand, warum nicht der 7:1-Triumph der Niederrhein-Elf am Bökelberg, der 1971 ob des legendären Büchsenwurfs in die Annalen der Fußball-Geschichte eingegangen ist? Wieso ist das Wunder von Bern 1954, der WM-Endspielsieg gegen Ungarn von der Experten-Runde "verschmäht" worden? Und aus welchem Grund hat es das sensationelle Champions-League-Finale 2005 zwischen dem FC Liverpool und AC Mailand (6:5 nach Elfmeterschießen für die "Reds") nicht verdient, als weltweit größtes Fußballspiel aller Zeiten Rang eins zu belegen. Eine Fachjury (Redaktion des Kult-Magazins 11 Freunde, sowie Ex-Trainer-, Fußballer und Historiker) faszinierte ein anderes Spiel am meisten, und das war fürwahr auch nicht ohne Pep: Bayer Uerdingen gegen Dynamo Dresden (19. März 1986).

"Ich weiß, warum", sagt Otto Pütz, Vorsitzender des Stadtsportbundes Krefeld, "weil wir bei uns in Krefeld selbst so etwas Ähnliches wie ein Wunder erlebt haben." Die phänomenale Aufholjagd von Bayer Uerdingen gegen Dynamo Dresden. Mit einer Mischung aus Entsetzen, Traurigkeit und einer Portion Wut im Bauch sah der damalige Stadionsprecher am 19.März 1986 zunächst hilflos mit an, wie Bayer 05 taumelte und viele der 18 000 Zuschauer im Viertelfinal-Rückspiel des Europapokals der Cup-Gewinner gegen Dynamo Dresden zur Halbzeit fluchtartig das Stadion verließen. "Dynamo hatte das Hinspiel 2:0 gewonnen, führte dann 3:1. Uneinholbar, dachten wohl die meisten. Doch Hunderte machten kehrt, nachdem sie im Radio gehört haben, was bei uns los ist", erinnert sich Pütz.

Aber was genau ist an jenem Mittwoch im März vor rund 21 Jahren und neun Monaten emotional abgelaufen? Samstagnachmittag (16.45 Uhr, WDR 3) wird das "Fußballwunder von Uerdingen", das etlichen Fußball-Fans den Atem verschlagen hat, noch einmal über den Bildschirm flimmern. Autor Bernhard Dreiner lässt in der 45-minütigen Produktion die dramatischste Aufholjagd des deutschen Fußballs der Nachkriegszeit noch einmal Revue passieren und etliche Zeitzeugen zu Wort kommen. Zum Beispiel die damaligen Trainer beider Teams, Kalli Feldkamp und Klaus Sammer.

Auch die Flucht des Dynamospielers Frank Lippmann, der sich nach dem Pokal-Desaster der Sachsen absetzte und später beim 1. FC Nürnberg seine Laufbahn fortsetzte, ist Bestandteil der "deutsch-deutschen Begegnung". Um Genaueres zu erfahren, stöberte der Autor in den Akten der Staatssicherheit.

So wurde bisher nicht veröffentlichtes Fotomaterial filmisch aufgearbeitet, so dass - neben dem Fußballspiel mit höchstem Thrill-Faktor - der Beitrag seine Spannung obendrein aus der politischen Situation des 1986 noch geteilten Deutschlands bezieht.

Zumal zwei Wochen zuvor beim Hinspiel - das ergaben die Nachforschungen Dreiners - der Besprechungsraum der Uerdinger verwanzt war. Bayer-Coach Kalli Feldkamp schlug den Drahtziehern des "DDR-Überwachungssystems" aber ein Schnippchen und verlegte die Taktik-Gespräche kurzerhand ins Freie. Uerdingen verlor dann im Rudolf-Harbig-Stadion mit 0:2, aber es gab ja noch das Rückspiel in der Grotenburg, die phänomenale Aufholjagd des FC Bayer 05.

Wie Otto Pütz werden sich am Samstag viele Fußball-Fans den Film im Dritten nicht entgehen lassen, das "Spiel meines Lebens", wie es der dreifache Torschütze Wolfgang Funkel nach der denkwürdigen Begegnung an jenem Mittwochabend im März 1986 genannt hat:

"Das Fußballwunder von Uerdingen".