Analyse Radomskis teure Aktentasche: Die Kirche gehört ins Dorf

Kerstin Radomski hat einen Fehler begangen. Sie wäre gut beraten, reinen Tisch zu machen. Viele Reaktionen sind überzogen.

Es kann um uns Menschen herum so schnell einsam werden. Kerstin Radomski spürt das mit voller, in Teilen überzogener Härte. Die Krefelderin hat Mist gebaut, rein rechtlich aber nichts falsch gemacht.

Radomskis größtes Problem ist nicht einmal eine hochwertige Aktentasche, die sie bar jeglichen Instinktes offenbar über ihre Bürokostenpauschale abgerechnet hat. Schlimmer ist die schlechte Beratung, die man der jungen Politikerin in ihrer ersten Legislaturperiode spendiert. Schweigen, aussitzen, Kopf einziehen — ein Krisenmanagement, das höchstens dazu geeignet ist, das jetzt aufkeimende Misstrauen und den Unmut in der Bevölkerung weiter zu befeuern.

Das Tempo, indem sich die Welt um Kerstin Radomski gedreht hat, ist atemberaubend. Erst vor wenigen Wochen wurde sie von ihrer Partei mit großem Tamtam als alte und neue Kandidatin für die Bundestagswahl 2017 in Position gebracht. Nicht etwa als logischer Kompromiss zwischen Moers, Neukirchen-Vluyn und Krefeld, wo sie die Stadtbezirke Nord, Hüls, Mitte und Ost vertritt.

Radomski wurde als neues „Aushängeschild“ der CDU geadelt: 41 Jahre alt, gefühlt doppelt solange an Bord, Mutter von zwei Töchtern, Ur-Krefelderin, Lehrerin, sympathisch, attraktiv, umgänglich. Und vor allem scheinbar angekommen im Berliner Politikbetrieb, als Neuling gar vertreten im so wichtigen Haushaltsausschuss. Die Botschaft: So eine kann den traditionell roten Wahlbezirk im Krefelder Norden eigentlich nur noch direkt holen. Zumal Platzhirsch Siegmund Ehrmann von der SPD nicht mehr antreten wird und die Sozialdemokraten vor allem im Bereich Moers große Schwierigkeiten haben, einen adäquaten Kandidaten zu finden.

Heute sind — zumindest in der Außenwirkung — all diejenigen, die sie gestern noch auf den Schild gehoben haben, die Fraktions- und Parteichefs der CDU-Stadtverbände, einfach alle, abgetaucht. Kein Bekenntnis zum „Aushängeschild“, Anrufe und Mails der WZ werden ignoriert oder man sagt, dass man nichts sagt. Außer Kerstin Radomski selbst, doch sie hat bislang auch nur diesen offiziellen Satz verlauten lassen: „Ich habe eine Arbeitstasche mit Laptopfach über das Sachleistungskonto abgerechnet, die ich im täglichen Gebrauch habe, um Akten zu transportieren.“ Kein Wort zum angeblichen Preis von 532 Euro, schon gar kein Bekenntnis zum offensichtlichen Fehler, geschweige denn eine Entschuldigung beim Wähler, rein moralisch, ins Klo gegriffen zu haben.

Wer unter solchem Druck steht und vom gnadenlosen Boulevard als gierige Politikerin gebrandmarkt wird, der mag sich vielleicht lieber einigeln. Aber: Das ist fatal, denn es lässt jede Menge Raum für Spekulationen.

Der wird genutzt, in den sozialen Netzwerken oftmals missbraucht. Motto: Da leistet sich eine von denen da oben etwas Schickes auf meine Kosten, das ich mir nie kaufen könnte. Natürlich darf dem Bürger diese gesamte Geschichte nicht schmecken. Dem Vernehmen nach wird der Frau, die über Jahre durch Engagement, erfrischende Normalität und eben auch Bescheidenheit überzeugt hat, sogar gedroht.

Der Stammtisch geifert, er kennt längst keine Grenzen mehr. Auch ohne daran zu erinnern, dass der Bonusmeilen- und Spezialkreditnehmer Cem Özdemir Grünen-Parteichef ist und eine der Figuren der CDU-Spendenaffäre sich heute als Finanzminister für die schwarze Null feiert: Das Verhältnis stimmt nicht, die Kirche gehört ins Dorf.

Und dort täte Kerstin Radomski gut daran, den Krefeldern zu erklären, was da warum vorgefallen ist. Sie könnte erklären, wie und für was eine Bürokosten-Pauschale genutzt wird. Dass nicht selten Gelder zurückfließen, weil sie oft nicht abgerufen werden. Radomski könnte zugeben: „Das war dumm von mir.“

Ihre politischen Freunde könnten ihr „Aushängeschild“ unterstützen, sich hinter sie stellen, deutlich Position beziehen. Hätte, wenn und aber. Zu viele Konjunktive, die diese unangenehme Angelegenheit größer machen, als sie ist.

In Berlin, davon ist auszugehen, wird in diesen Tagen mancher Abgeordnete lieber die alte Tasche wieder aus dem Schrank holen.