Rheinbahn-Bistro: Hannelore kennt sie alle

Seit zehn Jahren bedient die 62-Jährige Servicekraft auf der Strecke von Krefeld nach Düsseldorf und zurück die Gäste.

Krefeld. Hannelore kennt sie alle: Den Morgenmuffel, der sich sofort in seiner Zeitung vergräbt und nur ab und zu an seinem Kaffee nippt. Die Seniorin, die sich zur Feier des Tages ein Piccolöchen gönnt. Die Angestellte, die ein belegtes Brötchen mit Schinken selten ausschlägt. „Oft muss ich gar keine Bestellung mehr aufnehmen — ich weiß, was die Gäste wollen“, sagt die 62-Jährige, die am liebsten nur beim Vornamen genannt werden möchte. Und die die Gäste gerne beim Vornamen nennen.

Seit zehn Jahren arbeitet Hannelore als Servicekraft im Bistro der Rheinbahn, dem einzigen Bistro in einer Straßenbahn in Deutschland. Bei jedem Halt der U76 von Krefeld nach Düsseldorf und zurück, lehnt Hannelore am Eingang zur Küche, in der nur sie Platz findet. Von dort aus beobachtet sie, wie die zugestiegenen Gäste sich einen Platz suchen. „Ich muss mir merken, wer ein- und wer aussteigt, sonst geht hier alles durcheinander“, erklärt sie. Schließlich müsse sie die Gäste bedient und bei ihnen abkassiert haben, bevor sie die Bahn wieder verlassen. Purer Stress.

Doch Hannelore hat die Ruhe weg. Dass sie auch mit Gästen, die zu tief ins Glas geschaut haben, spielend fertig wird, nimmt man ihr sofort ab. Die 62-Jährige hat unter anderem zwölf Jahre im Oberbayern auf Mallorca gearbeitet, Hektik sei sie gewohnt. „Ich mag es auch lieber, wenn der Wagen voll ist und ich viel zu tun habe“, erklärt sie. „Wenn es zu unübersichtlich wird, gehe ich in die Küche und hole einmal tief Luft. Dann geht es weiter.“

Selbst wenn der Speisewagen bis auf den letzten Platz besetzt ist, bleibt ihr meist immer noch Zeit für einen kleinen Plausch, zum Beispiel mit Lilli, die wie alle Gäste an diesem Tag ihren Nachnamen lieber für sich behält und der Hannelore den Kosenamen „Hörnchen“ gegeben hat. Hörnchen freut sich immer, wenn der Platz neben der Küche frei ist, denn von dort aus lässt sich fabelhaft mit Hannelore klönen, während diese Frikadellen aufwärmt, Brötchen, die der Bäcker des Vertrauens jeden Tag am Bahnsteig vorbeibringt, schmiert oder Sahne auf den Kakao sprüht.

Meist dauert es nicht lange, bis weitere Gäste zusteigen und sich zu Lilli, die in Düsseldorf als Verkäuferin arbeitet, gesellen. Gäste wie Juristin Ulrike, die den Begriff „Straßenbahn-Freundin“ geprägt hat. Mit den Jahren haben sich im Bistro einige feste Cliquen gebildet.

Die Straßenbahn-Freundinnen verbringen die Fahrt zur Arbeit jeden Tag gemeinsam. „Wir kommen alle aus ganz verschiedenen Branchen und haben uns erst im Bistro kennengelernt“, erzählen die Freundinnen. Ulrike ist mit Unterbrechungen schon seit 43 Jahren in der U76 unterwegs. „Damals war ich noch Schülerin und bin nach Oberkassel in die Schule gefahren.“ Den morgendlichen Kaffeeklatsch im Bistro schätzt sie, „weil man Anteil am Leben der anderen nimmt“.

Als Ulrike und Lilli aussteigen, widmet Hannelore ihre Aufmerksamkeit dem Abwasch. Schmutzige Tassen sollen sich nicht in der Küche stapeln. Nicht nur, weil in der Küche nicht besonders viel Platz ist und der Vorrat an Geschirr deshalb begrenzt. „Es kann immer passieren, dass ein Wagen kaputtgeht. Dann müssen wir schnell zusammenpacken und in eine Ersatzbahn umsteigen“, erzählt sie. „Da sollte im Bistro dann kein schmutziges Geschirr zurückbleiben.“

Diesmal geht, wie meist, alles glatt. Pünktlich rollt die Bahn im Düsseldorfer Hauptbahnhof ein und die letzten Gäste steigen aus. Nur Hannelore fährt weiter. Im Tunnel legt die Bahn ein paar Minuten Pause ein, bevor es zurück nach Krefeld geht. Ein anderer Fahrer übernimmt und schaut kurz bei Hannelore vorbei. Die beiden foppen sich gerne. Aber nach Hannelore gefragt, hat Hubert für seine Kollegin nur ernstgemeinte Superlative übrig: „Hannelore ist eine der kompetentesten und nettesten Kolleginnen, die ich kenne“, sagt er.

„Na, wie war der Neue“, erkundigt er sich dann nach einem der neuen Fahrzeugführer. „Hat er super gemacht“, sagt Hannelore. Damit meint sie auch, dass der Neue die U76 ruhig auf den Schienen gehalten hat, um die Gäste im Bistro nicht durcheinanderzurütteln. Schließlich soll beim Bedienen nichts daneben gehen. Hannelore hat sich an das Schaukeln bei der Fahrt längst gewöhnt. „Man läuft immer ein bisschen breitbeinig, um genug Halt zu haben“, sagt sie.

Verschüttet habe sie auf der Fahrt in all den Jahren erst ein einziges Getränk und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als sie einem Gast gerade erzählt habe, dass bei ihr noch nie etwas danebenging: „So ist das ja immer“, sagt sie, nicht im mindesten resigniert. „Glücklicherweise hat der Kakao nur mich getroffen und nicht den Gast.“ Deshalb sei es an der Zeit, auch einmal die Fahrer zu loben. „Ohne sie und ihre Umsicht gäbe es dieses Bistro nicht.“