Seniorenpflege von Angehörigen - Wenn aus Belastung Aggression wird
Bei der Pflege von Senioren durch Angehörige können Konflikte entstehen. Der Arbeitskreis Häusliche Gewalt hilft mit einer neuen Broschüre.
Krefeld. Die Szene spielt sich jeden Morgen ab. Margot bereitet das Frühstück für ihre Mutter Maria L. Seit ihrem Sturz vor fünf Jahren ist die 88 Jahre alte Witwe nicht mehr in der Lage, alleine zu laufen. Zudem hat der Unfall ihre alltäglichen Gewohnheiten verändert: Das Aufstehen fällt Maria L. schwer, sie mag keine Dusche mehr betreten und die Zubereitung des Frühstücks artet in der Küche zu einem Chaos aus.
Tochter Margot bereut mittlerweile, dass sie sich für die häusliche Pflege entschieden hat. Entsprechend resolut läuft dann der Tag mit ihrer Mutter ab. Hauptsache, es passiert nichts und die Mutter bleibt ruhig. Dass dabei die Grenze zu häuslicher Gewalt überschritten werden könnte, kommt der 50-jährigen Tochter gar nicht in den Sinn.
Wie schwierig insbesondere eine genaue Definition von Gewalt ist, haben auch die Mitglieder des Arbeitskreises (AK) häusliche Gewalt in der Krefelder Gesundheitskonferenz festgestellt. In vielen Fällen häuslicher Gewalt sei den Beteiligten nicht einmal richtig bewusst, dass diese ausgeübt wird.
Der Umgang damit stellt sowohl die Betroffenen als auch die Anbieter von Hilfen vor schwierige Aufgaben: So müssen Erstere in der Lage sein, Phänomene wie Stress und andere Auswirkungen der privaten häuslichen Pflege von Angehörigen, mit einem hohen Maß an Ehrlichkeit und Selbstreflexion als solche zu erkennen.
Letztere müssen dagegen in der Lage sein, bei dem Versuch zu helfen, die Beteiligten mit Augenmaß und Sensibilität zu unterstützen.
Wie wichtig in diesem Zusammenhang die Möglichkeit ist, Rat zu suchen, verdeutlicht eine neue Broschüre unter dem Titel „Beinahe wäre es passiert . . . !“ des Netzwerks gegen häusliche Gewalt. Sie soll dazu beitragen, mögliche Ursachen für sowie Auswege aus Konflikten im Bereich der häuslichen Pflege aufzuzeigen.
„Praktische Unterstützung muss früh ansetzen, bestenfalls bevor der Konflikt entsteht“, sagt Amtsärztin Christiane Bonn, die als Sprecherin des Arbeitskreises mit Experten verschiedener sozialer Einrichtungen der Stadt die Inhalte des Faltblattes zusammengestellt hat.
Grundlage für die Arbeitsgemeinschaft, die Konflikt- und Gewaltprävention als Schwerpunktthema zu wählen, ist die Statistik. „Etwa zwei Drittel aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden in und von ihren Familien versorgt“, erläutert Birgit Paas, die Geschäftsführerin der Krefelder Gesundheitskonferenz. Das Ziel der Krefelder Gesundheitskonferenz sei, so Paas, die in der Stadt vorhandenen Angebote zu vernetzen und die Kompetenzen zu bündeln.
Dazu gehört auch Dirk Bohnen, der die Beratungsstelle für Alterserkrankungen leitet. „Es ist für viele Betroffene eine große Hürde, sich einzugestehen, bei der Pflege von Angehörigen Hilfe zu benötigen“, sagt er.
Allerdings sei diese Hilfe in einem Anfangsstadium am effektivsten, um — sich häufig schleichend anbahnende — Konflikte rechtzeitig zu erkennen und zu umgehen. „Oft wissen die Menschen nicht mal, welche Angebote es gibt, man versucht sich so lange selbst zu helfen, bis es nicht mehr geht, oder der Konflikt bereits entstanden ist“, so Bohnen.
Alle auf dem Flyer genannten Einrichtungen seien so miteinander vernetzt, dass zu jedem Hilfegesuch von Fall zu Fall eine passende Anlaufstation genannt werden könne. „Die Menschen müssen sich nur trauen, sich zu melden“, sagt Paas. Wer diese Hürde überspringe, könne sich individuell über eine Vielzahl unterschiedlicher Entlastungsmöglichkeiten informieren.
Als Beispiel zählt sie Angebote auf, die von Fahrdiensten und Tages- oder Teilzeitbetreuungen über Gruppenausflüge mit anderen Betroffenen bis hin zur sinnvollen Organisation von Unterstützung in der Nachbarschaft reichen. „Aus einem Pflichttermin wie einem Arztbesuch einen Ausflug zu machen, der positiv belegt ist, kann hilfreich sein“, berichtet Bohnen von seinen Erfahrungen.
Die Infobroschüre „Beinahe wäre es passiert . . . !“ liegt zunächst in den Krefelder Gesundheits-Institutionen aus, die Inhalte des Leporellos sollen den Machern zufolge allerdings auch bald auf der Internetpräsenz der Stadt Krefeld in der Rubrik „Gesundheit und Soziales unter dem Punkt „Gesundheitskonferenz“ zum Herunterladen bereitgestellt werden.