Kuhhandel in der Niederrheinhalle Milchkuh Karin geht auf Reisen
Monatlich kommen in der Niederrheinhalle dutzende Kühe und Bullen unter den Hammer. Der Milchpreis drückt den Verkaufswert.
Kempener Feld. Karin sieht nervös aus. Willi Achten hat ihr zwar Wasser gebracht, aber die große schwarz-weiße Kuh ignoriert den Eimer zwischen ihren Vorderhufen. Sie starrt stattdessen vor sich hin. Irgendetwas ist anders. Normalerweise wird morgens gegen 8 Uhr gemolken, jetzt ist es schon 9 Uhr und ihr Euter noch prall.
Die kauenden, muhenden Kühe um sie herum sind ganz klar nicht die, die sonst mit ihr im Stall stehen. Karin scheint zu ahnen, dass hier etwas faul ist. Ihr Leben wird in wenigen Stunden eine Wendung nehmen. Sie wird umziehen auf einen anderen Hof. Wohin genau, weiß noch niemand. Es ist Auktionstag in der Niederrheinhalle. 143 Milchkühe, im Katalog als Rinder gelistet, kommen unter den Hammer, außerdem ein Kalb und über ein Dutzend Bullen.
Werner Ziegler, Regionalleiter der Rinderunion West (RWU), und somit Veranstalter der Auktion, läuft durch die Stallungen, begrüßt Verkäufer und Käufer, sieht nach dem Rechten. Jeden Monat findet die Zuchtvieh-Auktion an der Kleinewefersstraße statt. Dieser sieht er mit geteilten Gefühlen entgegen: „Im Sommer sind die Auktionen, bedingt durch die Fruchtbarkeit der Tiere, etwas kleiner. Das allein ist aber nicht entscheidend. Wenn der Milchpreis so niedrig ist wie im Moment, wirkt sich das auch auf die Preise der Tiere aus. Für die Züchter ist das schlimm.“
Der niedrige Milchpreis wiederum läge derzeit vor allem an preisdrückenden Discountern. „Hoffen wir das Beste für die heutige Auktion.“
Die Versteigerung selbst beginnt um zehn Uhr, aber schon Stunden vorher herrscht emsige Geschäftigkeit. Die Tiere werden von zwei Tierärzten untersucht, gleichzeitig werden Auktions- und Ohrnummer abgeglichen, um Verwechslungen auszuschließen. Karin hat das schon hinter sich. Ist der Tierarztcheck bestanden, geht es zur „Exterieurbeurteilung“. Einstufer Andreas Ramminger achtet auf Milchtyp, Körper, Fundament und Euter. Eine funktional gebaute Kuh verspricht potentiellen Käufern eine hohe Gewinnspanne.
Willi Achten ist mit Karins Bewertung zufrieden. Er hat heute nur eine Kuh in der Auktion. 1400 Euro muss er mindestens für sie bekommen, um keinen Verlust zu machen. Karin muss also im Ring glänzen. Dass sie eine Vorliebe dafür hat, sich im Mist zu wälzen, wird ihrem sauberen Fell keiner ansehen. „Bei den Tieren, deren Besitzer nicht hier sind, übernehmen wir das volle Programm. Waschen, föhnen, legen, sozusagen. Das gehört zum Service“, erklärt Werner Ziegler. Vier junge Frauen sind gerade in der „Waschstraße“ zugange. Hier wird geschrubbt und shamponiert — fällt danach noch Dreck auf, wird das Tier zurückgeschickt.
Veronika Rips hat eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. Für Katharina Achten, die wie viele andere selbst von einem Milchbetrieb kommt, ist es ein Ferienjob. Und was für einer! So sanft die Kühe auch wirken, bereitwillig am Strick führen lassen sich längst nicht alle. Da muss man schon mal zur Seite springen.
Norbert Effing-Timmermann kann ein Lied davon singen. Der Landwirt aus Vreden ist in den elterlichen Betrieb eingestiegen und hat deshalb täglich mit den Tieren zu tun. Ihm ist wichtig, dass die Leute wieder einen Bezug zur Milch kriegen. Wenn die Kunden Milch am Frischmilchautomat der Familie kaufen, können sie deshalb einen Blick in den Stall werfen. „Manche Kunden haben eine Lieblingskuh und helfen sogar beim Füttern.“ Eigene Kühe hat er für diesen Auktionstermin nicht angemeldet, dafür aber den einjährigen Bullen Lotto, dessen Zuchtbullenkarriere heute ihren Anfang nehmen könnte.
Aus den ersten Eutern tropft Milch. Es ist Zeit, dass es losgeht, denn unmittelbar nach der Vorführung im Ring darf gemolken werden. Daher haben nun die ersten weiblichen Tiere ihren großen Moment im Ring. Sie alle haben in den letzten Wochen und Monaten zum ersten Mal gekalbt. Sie stehen also ganz am Anfang ihrer Milchproduktion.
Sogar für Nicht-Profis zeigt sich schnell, dass Kühe nicht einfach Kühe sind. Es gibt große und kleine, schmächtige und kräftige Kühe, schwarz-weißes, braun-weißes und beiges Fell, kurze und lange Beine, kerzengerade und durchhängende Rücken, knochige, muskulöse und etwas schwabbelige Körper. Manche sind widerspenstig, andere lassen sich seelenruhig führen und die ganz Entspannten trotten alleine durch den Ring. Die Euter sind allesamt riesig. Die Bieter scheinen sich jedoch an andere Kriterien zu halten. Aber wie sieht man einer Kuh an, wie viel sie Milch geben wird?
Hans-Peter Wermes, der auf einem Milchhof aufgewachsen ist, zuckt die Achseln. „Man entwickelt da einen Blick für. Da, die ist gut getypt!“, sagt er und zeigt auf eine hochbeinige Kuh mit prallem Euter. Und tatsächlich, es werden 1450 Euro für sie geboten; die Kühe unmittelbar vor ihr brachten ihren Besitzern zwischen 900 und 1200 Euro ein.
Auktionator Paul Nosbisch gibt bei jedem Rind die tägliche Milchleistung und das Datum der ersten Kalbsgeburt an. „Korrekte Färse, die passt in jeden Stall!“, tönt es aus den Lautsprechern, als ein besonders neugieriges Tier den Kopf in den Zuschauerrang zu stecken versucht. Korrekte Färse? Im Sinne von coole Ferse? Wie amüsant! „Korrekt“ ist bezogen auf den Körperbau. Das sei ein Fachausdruck. Und eine Färse ist eine geschlechtsreife junge Kuh, streng genommen noch vor ihrer ersten Kalbung.
Karin ist Nummer 90 im Auktionskatalog. Da heißt es erst mal warten. Zeit sich genauer über sie zu informieren. Die schwarze Schönheit mit dem weißen Fleck unter der rechten Schulter kommt aus St.Hubert. Ihr Besitzer Willi Achten betreibt den Milchhof seit 1987 und das in vierter Generation. Wenn Tochter Katharina Lust hat, kann sie irgendwann das Ruder übernehmen. Aber das ist Zukunftsmusik. Derzeit ist der Milchpreis mal wieder das größte Problem. Denn derzeit bekommt der Landwirt von Arla, seiner Molkerei, 23,7 Cent für einen Liter Milch. 30 Cent bräuchte er, um kostendeckend arbeiten zu können. Bei 100 Milchkühen, die einzeln durchschnittlich 33 Liter Milch am Tag geben, liegt der tägliche Verlust bei knapp 220 Euro. Aber helfen da nicht Subventionen? „100 Millionen Euro werden den Landwirten jährlich zur Verfügung gestellt“, erklärt Achten, der auch Vorsitzender des Kreisrinderzuchtverein Viersen-Krefeld-Ruhrgroßstädte ist. „Bei 75 000 Milchbetrieben sind das aber gerade mal 1300 Euro pro Betrieb. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Bis der Milchpreis sich erholt, müssen also die Reserven dran glauben. Manche Milchbauern müssen sogar Kredite aufnehmen.
Achten wirkt nicht so, als würde er sich davon unterkriegen lassen. Seine Kühe Zuhause haben alle Namen, erzählt er. Ungefähr einmal im Jahr kalben sie, die Tragzeit beträgt neun Monate. Neun Monate im Jahr gibt eine Kuh keine Milch? „Nein, nein! Auch schwangere Kühe geben noch Milch. Sechs Wochen vor dem Geburtstermin werden sie trocken gestellt.“ Viele der Kälber behält er. Weibliche Kälber bekommen Vornamen, die mit dem Anfangsbuchstaben der Mutter beginnen, männliche einen mit dem Anfangsbuchstaben des Vaters. Die Jungviehaufzucht mache ihm Spaß und bringe noch etwas ein.
Karin, deren Mutter Klarissa heißt, ist ein Resultat davon. Als sie an der Reihe ist, riecht es in der Auktionshalle dank der Sommerhitze schon länger nicht mehr so angenehm nach frischem Streu wie zu Beginn. Karin und Willi Achten ignorieren das. Die Gebote kommen schnell, noch schneller ist es vorbei. Stunden der Vorbereitung für eine Minute im Ring. Für 1350 Euro geht sie an einen Hof nach Rheurdt. Achten ist nicht zufrieden mit dem Preis, Karin sei eine gute Kuh. Wäre der Milchpreis besser, hätte er 1800 oder sogar 1900 Euro für sie bekommen können.
Sie wieder mitzunehmen ist trotzdem keine Option. Auch der Regionalleiter der Rinder-Union ist nicht zufrieden mit der Auktion. Der durchschnittliche Verkaufspreis von 1140 Euro liege fast 160 Euro unter dem Durchschnittspreis der letzten Kuhversteigerung und das, obwohl die Qualität der Tiere hoch gewesen sei.
Die mit Abstand teuerste Kuh des Tages, Atlanti, geht für 2600 Euro nach Belgien. Immerhin hat Karin keine weite Reise vor sich. Ihr neuer Besitzer heißt Arno Osten und führt wie Achten mit seinem Milchbetrieb eine Familientradition fort. Weil nun auch sein Sohn von der Begeisterung angesteckt ist und einsteigen möchte, wird der Hof vergrößert. Von 90 Tieren möchten sie auf knapp 150 aufstocken und haben dafür extra einen neuen Stall gebaut, gut belüftet und mit viel Lauffläche. „Wir setzen alles auf eine Karte und hoffen, dass sich der Milchpreis wieder erhöht, wenn wir die Herde zusammen haben.“