Erinnerung an die Uerdinger Familie Daniels
Zur Verlegung der ersten Stolpersteine in der Rheinstadt ist Hans Rabanus gekommen. Er ist mit Werner Daniels zur Schule gegangen.
Uerdingen. Für viele Krefelder ist es ein ganz normaler Tag — für Hans Rabanus ist es jedoch ein außergewöhnlicher: Der 96-Jährige kommt, chauffiert von seinem Sohn aus Leverkusen, an einen Ort seiner Kindheit zurück, zu dem Haus Alte Krefelder Straße 39 in Uerdingen. Dort wohnte einst sein jüdischer Schulfreund Werner Daniels.
Der Künstler Günter Demnig hat gerade vier Stolpersteine für Mitglieder der Familie Daniels in das Pflaster gelegt. Mit einem feuchten Tuch wischt er den Schmutz von der Messingoberfläche der Stolpersteine.
Sichtlich bewegt verfolgt Hans Rabanus das Ganze. „Ich bin hier oft Gast in diesem Haus gewesen. Die Mutter hat uns immer trefflich verköstigt“, sagt Rabanus. Mit diesem Ort verbinde er sehr viel und schließt mit einem Wort: „Jugenderinnerungen“.
Um Hans Rabanus und Günter Demnig haben sich an diesem frühen Nachmittag inzwischen einige Menschen versammelt: Mitglieder des Vereins Villa Merländer, Stadtteilpolitiker, die Hausbewohner und auch Oberbürgermeister Frank Meyer. „Mit diesen Stolpersteinen liegen etwa 100 in der Stadt, aber diese sind die ersten in Uerdingen“, betont Ingrid Schupetta, Leiterin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Krefeld.
„Freude ist an dieser Stelle ein schwieriges Wort“, sagt Frank Meyer. Er sei aber froh, dass nun auch in Uerdingen Stolpersteine verlegt worden sind. Denn sie schaffen hier wie in der übrigen Stadt ein Bewusstsein, verleiten zu einem kurzen Innehalten — so nun auch an der Alten Krefelder Straße.
Die Familie Daniels betrieb bis zur Weltwirtschaftskrise einen Handel mit Pferden, die auch für das Ziehen von Rheinschiffen herangezogen wurden. Hinter dem Haus befanden sich Ställe und eine Laufanlage. Werner Daniels und Hans Rabanus wurden 1926 gemeinsam eingeschult. „Über das Freimarkensammeln haben wir uns dann kennengelernt“, erinnert sich der 96-Jährige.
Nach dem Tod des Vaters im Juli 1932 lebten die Witwe Marta Daniels und ihre Kinder Kurt, Ruth und Werner weiter in dem Haus. Kurt hatte seine Lehre im Textilhandel abgeschlossen und arbeitete in verschiedenen, vorwiegend jüdischen Firmen.
Ingrid Schupetta, Leiterin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt
Auch Ruth Daniels hatte die Höhere Schule bereits verlassen und nahm diverse Stellungen als Sekretärin an. Die Geschwister verloren wiederholt die Arbeit, weil jüdische Inhaber schließen mussten. Werner besuchte zu der Zeit das Realgymnasium am Moltkeplatz. Als seine Mutter das Schulgeld nicht mehr aufbringen konnte, bekam er ein Stipendium und machte 1938 dort sein Abitur.
Während des Novemberpogroms 1938 passierte der Familie zwar nichts. Die Kinder beschleunigten allerdings ihre ohnehin bestehenden Pläne, Uerdingen und das Land zu verlassen. Ruth emigrierte 1939 nach London und kehrte nie mehr nach Deutschland zurück. Kurt und Werner flohen im März 1939 im Abstand weniger Wochen nach Belgien, wo Verwandtschaft wohnte. Seinem Freund Hans hinterließ er zum Abschied einen auf Latein verfassten Brief, in dem er hoffte, dass man sich eines Tages wiedersehen werde.
Die Mutter Marta zog 1942 zu ihrem Bruder nach Wuppertal. Von dort wurde sie noch im selben Jahr in das Konzentrationslager Theresienstadt und 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde. Als die deutsche Wehrmacht Belgien besetzte, mussten die beiden Jungen weiter nach Südfrankreich fliehen. In einem Lager nördlich der Pyrenäen wurden sie jedoch festgesetzt.
Kurt wurde nach Auschwitz deportiert und dort 1942 ermordet. Werner gelang die Flucht und er schloss sich der Résistance (französische und belgische Widerstandsbewegung) an. Im April 1946 kam es zu dem erhofften Kontakt zwischen Hans Rabanus und Werner Daniels, der in Frankreich und später in Südengland lebte. Sie trafen sich öfter, unter anderem in London. Zeitlebens blieben sie Freunde.