172 in der Stadt Neue Stolpersteine erinnern an verfolgte und ermordete Krefelder

Der Künstler Gunter Demnig hat am Donnerstag vor sechs Häusern in der Innenstadt und in Uerdingen neun Stolpersteine verlegt.

Gunter Demnig startete das Stolperstein-Projekt im Jahr 1992. Die Verlegung am Donnerstag war die mittlerweile neunte in Krefeld. Damit gibt es nun 172 Stolpersteine in der Stadt. Insgesamt hat Demnig schon über 70 000 Steine verlegt.

Foto: Andreas Bischof

Vor dem Wohnhaus Nummer 29 an der Dreikönigenstraße, zwischen Fahrradgeschäft und Änderungsschneiderei, hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. Weil der Bürgersteig nicht genügend Platz bietet, weichen einige auf die Straße aus. Autos bremsen ab und rollen dann langsam vorbei. „Was ist denn hier los?“ Diese Frage steht deutlich in den Gesichtern der Fahrer und Beifahrer.

Dann hält ein roter Kleintransporter auf der gegenüberliegenden Straßenseite – mit einem hessischen Kennzeichen und dem Namenskürzel GD: Gunter Demnig. Der bekannte Künstler, unverwechselbar durch seinen markanten Hut und den großen Knieschoner, öffnet die Heckklappe und holt sein Werkzeug aus dem Wagen.

Am Donnerstag war Demnig mal wieder in Krefeld, um an sechs weiteren Standorten neun „Stolpersteine“ zu verlegen, die an Opfer des Nationalsozialismus erinnern sollen. Dafür werden die in Handarbeit hergestellten Messingtafeln, die über das Schicksal der Verfolgten und Ermordeten informieren, ins Gehweg-Pflaster eingelassen – deswegen der Knieschoner. Meist geschieht das vor den letzten frei gewählten Wohnungen der Opfer.

Bei seinem jüngsten Besuch in Krefeld beginnt Gunter Demnig um kurz vor 9 Uhr an der Geldernschen Straße 147. Erinnert wird an Josefa Flock, die 1943 in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet wurde. Der Stein wurde von der Freien Waldorfschule Krefeld gestiftet, die die Verlegung auch inhaltlich begleitet hat.

Angehörige sind aus
den USA angereist

Die zweite Verlegstelle ist das Haus Südwall 11 für die Familie Gründberg/Barsdorf, Opfer des Holocausts. Die Steine wurden von Angehörigen der Familie gestiftet, die extra aus den USA angereist sind. Mit dabei sind auch Schüler der Albert-Schweitzer-Schule.

Die dritte Stelle ist die Stephanstraße 62. Hier wird an Johannes Böckling erinnert, der als Widerstandskämpfer 1937 wegen „Hochverrats“ verhaftet wurde und 1943 in Haft starb. Der Stolperstein wurde von Familienangehörigen gespendet. Mit vorbereitet und begleitet haben die Verlegung Schüler des Maria-Sibylla-Merian-Gymnasiums.

Dieser Stolperstein an der Dreikönigenstraße erinnert an Carl Becker. Er wurde 1943 in das KZ Dachau deportiert.

Foto: Andreas Bischof

Die fünfte und letzte Stelle in der Innenstadt erinnert an der Philadelphiastraße 128 an Jakob Lücker. Der überzeugte Kommunist fiel 1937 als Mitglied der Internationalen Brigaden im Kampf gegen den Faschismus im spanischen Bürgerkrieg.

Der Stein wurde von einem engagierten Krefelder gestiftet. Unterstützt haben die Verlegung Mitglieder des Bündnisses für Toleranz und Demokratie.

Danach fährt Gunter Demnig nach Uerdingen. An der Schützenstraße 17 setzt er einen Stein für August Kaiser, der auf Grundlage des „Schwulen-Paragraphen“ 175 Opfer von Verfolgung und Zwangskastration wurde. Er wurde 1944 ermordet. Hier sind es Jugendliche des Fabritianum, die an das Schicksal des gebürtigen Dülkeners erinnern.

Schüler desselben Gymnasiums haben sich, unter Leitung von Lehrer Thomas Tillmann, auch mit dem Leben von Carl Becker von der Dreikönigenstraße, der Station Nummer vier, befasst. Auch der gebürtige Duisburger wurde 1938 nach Paragraph 175 verurteilt.

Nach Recherchen des Bochumer Psychologen Jürgen Wenke (siehe Info-Kasten) kam es 1940 zwischen Becker, Besitzer des Hauses 29, und einem Mieter zu Streitigkeiten, die in einer Räumungsklage gipfelten. Im Zuge dessen wurde Becker durch den Mieter bei der Gestapo denunziert. Ihm wurde vorgeworfen, im August 1940 den Hitlergruß verweigert und Adolf Hitler beleidigt zu haben.

Zwar wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt, jedoch kam Carl Becker später erneut in Haft und wurde 1941 nach Dachau deportiert. Anfangs wurde er als „Berufsverbrecher“ eingetragen, wodurch er einen „grünen Winkel“ als Erkennungszeichen tragen musste. Im Februar 1945 wurde seine Akte geändert, er bekam den „rosa Winkel“ für Homosexuelle.

Als KZ-Häftling musste er Zwangsarbeit leisten. Nach der Befreiung durch die Amerikaner verbrachte Carl Becker, körperlich gezeichnet, seine letzten Jahre in Bayern, wo er 1953 starb.

Um die Erinnerung an seine Denunzierung und Verfolgung im wahren Wortsinn hochzuhalten, entrollen die Krefelder Gymnasiasten im Rahmen der Stolperstein-Verlegung an der Dreikönigenstraße einen riesigen „rosa Winkel“.