Herr Meyle, warum heißt die neue CD „Hätt‘ auch anders kommen können“?
Konzert in Krefeld Gregor Meyle im Interview: „Ich hatte keinen Bock auf eine Castingshow“
Krefeld · Vor seinem Konzert in Krefeld spricht Gregor Meyle im Interview über sein neues Album, Castingshows und seinen Weg zur Musik.
Gregor Meyle: Das Album erscheint einen Tag vor meinem 40. Geburtstag. Es ist viel in meinem Leben passiert und ich hatte das Glück, Menschen zu treffen, die an mich geglaubt haben. Meine Mama ist leider im März gestorben und das verarbeite ich natürlich auf der Platte. Es gibt aber auch ganz banale Songs. Ich liebe es, Alben zu machen, die man auflegen und von vorne bis hinten durchhören kann.
Welche Struktur hat das neue Album?
Meyle: Musikalisch habe ich auf dem neuen Album viele Stilrichtungen aus der ganzen Welt wie zum Beispiel Kuba-Sounds, Samba und auch Reggae vereint. Ich höre oft meine Lieblingssongs zu diesen Sounds und lasse mich davon inspirieren. Meine Musik wird dadurch beeinflusst und das ist schön. Ich habe eine gewisse Freiheit, denn ich muss nicht einem klassischen Radio-Format entsprechen, um meine Zielgruppe zu erreichen.
Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Meyle: Es hat bei mir ganz klassisch angefangen. Mein Opa hatte eine Werkstatt und mein Vater hat sich dort aus allen möglichen Gegenständen Gitarren gebaut. Er hatte auch eine richtige Gitarre in so einer 50er-Jahre-Plastikhülle an der Wand hängen. Und es war ganz schön heikel, weil ich sie nicht anfassen durfte. Als ich in die erste Klasse kam, durfte ich diese Gitarre endlich in die Hand nehmen. Mit sechs Jahren saß ich dann den ganzen Tag in meinem Zimmer und am Abend sagte ich stolz zu meinem Dad: „Ich habe ein Lied geschrieben“. Natürlich konnte ich das damals noch nicht, aber es war für mich als Junge vom Land natürlich ziemlich cool, die Musik als Ventil zu entdecken. Ich habe mich wochenlang damit beschäftigt. Es war faszinierend, wie aus dem Nichts ein Song entsteht. Für mich war schon früh klar, dass ich Lust hatte, ein Instrument zu lernen und Gitarre war genau das Richtige, weil ich sie überall mitnehmen konnte.
Wie wichtig war Stefan Raab für Ihren Karriereverlauf?
Meyle: Mein Bruder (Felix, Anmerkung d. Red.) und ich haben in Köln zusammen in einer WG gewohnt. Ich arbeitete damals als Tontechniker. Felix war bei Stefan Raab und hat für „Schlag den Raab“ die ganzen Spiele organisiert. Irgendwann kam er nach Hause und erzählte mir von einer Casting-Show und, dass ich da unbedingt mitmachen müsse. Ich zweifelte an mir, aber mein Bruder hat es geschickt eingefädelt. Er sagte, sie brauchen Hilfe beim Aufbau der Technik. Doch tatsächlich hatte er mich längst bei der Casting-Show angemeldet. Ich kam also dort an, bekam einen Aufkleber und saß in einer Casting-Box. Ich hatte eine Minute, um meinen Song vorzuspielen. Aber ich nahm mir relativ viel Zeit für das Gitarrestimmen und als die Minute vorbei war, hatte ich es noch nicht mal bis zum Refrain geschafft.
Ihr Bruder hat Sie also unter einem Vorwand zur Show gelockt?
Meyle: Genau so war es. Ich wäre sonst nie dahin gegangen. Ich hatte keinen Bock auf eine Castingshow. Mittlerweile habe ich ihm das ganz gut zurückgezahlt. (lacht)
War „Sing meinen Song“ mit Xavier Naidoo der entscheidende Moment für Ihre Karriere?
Meyle: Schon. Es war wie das silberne Tablett. Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits vier Alben. Das 4. Album wurde extra für diese Show produziert. Und ich wusste, ich habe nur diese eine Chance. Ich war der Einzige, der zu dieser Sendung eine CD fertig hatte. Ich hoffte, dass das mein Ding wird und ich mich als Musiker etablieren kann, wenn ein paar Millionen Menschen zuschauen. Und nach der Ausstrahlung waren plötzlich alle meine Platten in den Top 10.
Hat Naidoo Sie angerufen?
Meyle: Ja. Es war irgendwie Schicksal. Ich lernte Xavier bei einem Charity-Konzert in der „Bullerei“ von Tim Mälzer in Hamburg kennen. Er war begeistert und entschuldigte sich hinterher bei mir, dass er mich nicht kannte. Das war 2009 oder 2010. Wir trafen uns dann ein paar Mal in Mannheim und er unterstützte mich bei meinen Platten. Xavier sagte irgendwann zu mir: „Du brauchst mal eine große Fernsehshow.“ Doch ich meinte nur, dass ich diese Fernsehnummer schon bei Stefan Raab hatte. Ich wollte einfach mit meiner eigenen Musik überzeugen. Schließlich kam es dazu, dass der Erfinder von „Sing meinen Song“ einen Künstler suchte, der noch nicht so bekannt war. Xavier wollte mich unbedingt dabei haben und hat mich vorgeschlagen. Das war mein Million-Dollar-Call.
Wie ist heute Ihr Verhältnis zu ihm?
Meyle: Wir sind sehr gute Freunde geworden und sehen uns fast jede Woche. Xavier ist jemand, der wahnsinnig liebevoll und großzügig ist. Er hat eine gute Seele, ist für mich eine große Respektsperson. Es gibt wenige Menschen auf der Welt, die so gut singen können wie er. Mir fällt da nur Stevie Wonder oder John Legend ein, aber ansonsten wird es soulmäßig ziemlich eng. Singen ist Xaviers Instrument.
Es geht in Ihren Songs oft darum, dass alles gut wird. Wie sehr steckt ihr eigenes Leben in ihren Liedern?
Meyle: Vollkommen. Wenn man Musiker ist und deutsche Texte schreibt, wird man zu 80 Prozent auf die Wörter festgelegt. Der Text, die Geschichte eines Songs, die durch die Musik transportiert wird, ist Mittel zum Zweck. Ich versuche, Texte zu schreiben, die von der Musik nicht ablenken, sondern irgendwie dazu passen. Natürlich bringe ich da auch mein eigenes Leben ein.
Was ist Ihnen wichtig?
Meyle: Eine realistische Einschätzung von Dingen ist sehr wichtig. All das, was ich mit meiner Band mache, lernt man in keiner Ausbildung. Als Musiker beschäftige ich mich nur 20 Prozent meiner Zeit mit Musik. Alles andere ist Geschäftsführer-Kram. Klingt etwas unromantisch, ist aber so. Ich habe das Glück, dass ich meinen Traum leben kann. Mit Menschen, die teilweise schon 15 Jahre dabei sind. Uns geht es sehr gut, aber wir hatten auch schwierige Zeiten. Sechs Jahre lang haben wir bei einem Drittel der Konzerte nichts verdient. Es ist ganz wichtig, dass man daran glaubt, dass es irgendwie klappen wird und dass man nie den Mut verliert.
Letzte Frage: Sie wirken immer so ausgeglichen. Verzagen sie auch mal?
Meyle: Ich verzage in vielen Situationen. Bei ganz normalen Dingen bin ich ganz oft unzufrieden mit mir selbst. Aber ich freue mich sehr, wenn ich etwas gut hinbekomme, dann bin ich stolz auf mich. Auch darauf, wenn Xavier Naidoo oder Herbert Grönemeyer meine Platten hören. Ein schöneres Kompliment gibt es nicht. Auf der Bühne darf ich nicht verzagen. Das ist mein Arbeitsplatz und es ist der ordentlichste Platz in meinem Leben.