Frau Schauws, wie geht es Ihnen?
Rückkehr nach schwerer Krankheit „Es gibt keinen Grund, eine Waffe mit sich zu tragen“
Interview | Krefeld · Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws über Solingen, Haltungsfragen und einen kurzen Dialog mit Friedrich Merz.
Anfang des Jahres erhielt Krefelds Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws die Diagnose Brustkrebs. In der Folge zog sie sich für die Dauer von sieben Monaten komplett aus der Öffentlichkeit zurück, konzentrierte sich auf die medizinische Behandlung im Helios-Klinikum und auf ihre Genesung. Jetzt ist sie zurück und wurde von den Grünen erneut als Bundestagskandidatin für den Wahlkreis 113 nominiert. Anlass genug für ein Gespräch über verbliebene Ziele bis zur nächsten Wahl am 28. September 2025, Streit in der Koalition und den US-Wahlkampf.
Ulle Schauws: Gut. Meine vollständige Genesung ist dank einer sehr intensiven Behandlung auf einem guten Weg. In den vergangenen sieben Monaten habe ich mich stark auf die Heilung konzentriert, habe hier im Wahlkreis und in Berlin keine Termine mehr wahrgenommen. Im Hintergrund ist die politische Arbeit mit meinem Team, zum Beispiel in der Frauen- und Familienpolitik, aber weitergegangen.
Bis zur nächsten Wahl am 28. September 2025 bleibt etwas mehr als ein Jahr. Was wollen Sie in dieser Zeit noch erreichen?
Schauws: Am besten alle Ziele, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden. Wir haben bereits 65 Prozent davon umgesetzt, was die wenigsten wissen, weil es oft schlecht kommuniziert wird. Vieles bleibt unsichtbar, was eigentlich gut ist. Es wird viel über Klimaschutz und Mobilität diskutiert, doch die guten Gesetze, die teils auch durch Kompromisse entstehen, gehen unter. Wir haben noch ein Jahr, um die konstruktive Arbeit der Konstellation in der Ampel herauszustellen. Wichtig ist aktuell vor allem, die Demokratie und ihre verfassungsgebenden Organe zu stärken und zu sichern, so dass sie nicht so einfach ausgehebelt werden können. Aber auch um individuellen Schutz. Dass Menschen vom Grundgesetz geschützt werden, ist zentral. Ich stehe für einen umfassenden Artikel 3 GG ein.
Was steht konkret für Krefeld auf Ihrer Agenda?
Schauws: Mir ist wichtig, dass wir hier vor Ort für bessere Mobilität für alle Verkehrsteilnehmenden sorgen und Klimaneutralität erreichen, zu der die Stadt sich verpflichtet hat. Wie schaffen wir öffentliche Räume zum Verweilen, so dass sich Menschen in der Stadt bei Hitze gut draußen aufhalten, erfrischen oder in Ruhe verschnaufen können? Ebenso wollen wir die gute Förderung von PV Anlagen weiter verbessern. Beim Thema Energiewende braucht es zudem den guten Schulterschluss mit Wirtschaft und Handwerk. Wir müssen langfristig und verbindlich Klarheit über die Förderungen schaffen, damit Unternehmen Sicherheit für ihre langfristige Investitionen bekommen. Die Unternehmen wollen Klarheit und sind bereit, sich auf den Weg der Klimaneutralität zu begeben. Wir wollen zudem das Handwerk vor Ort stärken.
Gerade um Fördermittel wurde in den vergangenen Wochen auf Bundesebene aufgrund der Haushaltslage immer wieder lautstark gerungen. Steht bei der Ampel-Koalition der Streit zu sehr im Fokus?
Schauws: Das Ringen um ein gutes Gesetz darf die Öffentlichkeit schon mitbekommen, aber es muss eben nicht alles nach Außen dringen, wenn man Lösungen und Kompromisse finden will. Ich selbst habe zum Beispiel auch die Kindergrundsicherung mitverhandelt oder beim Gewalthilfegesetz für Frauenhäuser. Der entscheidende Punkt ist, dass am Ende ein gutes Gesetz verabschiedet werden kann. Dafür setze ich mich weiterhin ein – auch in bilateralen Gesprächen.
Die sie manches Mal auch mit Abgeordneten der CDU führen…
Schauws: Ja, der Austausch ist wichtig. Wenn man in den Dialog eintritt, trägt das immer zum besseren Verständnis bei. Und man kann auch mal deutlich seine Meinung sagen.
Zum Beispiel?
Schauws: Als Friedrich Merz über Flüchtlinge gesagt hat, diese säßen beim Arzt und ließen sich die Zähne machen, und die deutschen Bürger nebendran bekämen keine Termine, habe ich ihm sehr deutlich gesagt, dass diese Äußerung sehr problematisch war. Geflüchtete so zu diskreditieren, wissend, dass dies so nicht stimmt, ist doch unwürdig.
Friedrich Merz hat unmittelbar nach dem Anschlag in Solingen erneut von sich reden gemacht, eine schärfere Asylpolitik und mehr Waffenverbotszonen gefordert. Auch in Krefeld gab es zuletzt mehrere Messerattacken. Wie stehen Sie zu Waffenverbotszonen?
Schauws: An erster Stelle gilt den Opfern und ihren Angehörigen mein Mitgefühl. Die Situation darf aber nicht instrumentalisiert und gegen alle Flüchtlinge gewendet werden. Gefährder müssen konsequent abgeschoben werden. Aber die meisten Menschen, die hierher kommen, sind vor Terror und vor den Islamisten geflohen. Die Diskussion über Waffenverbotszonen und Messerverbote ist richtig. Robert Habeck hat es ganz deutlich gemacht: Es gibt keinen Grund, eine Waffe mit sich herumzutragen. Was wir nicht brauchen, sind jetzt undurchdachte Schnellschüsse.
Welche Folgen könnte der Anschlag auch für die Gesellschaft haben?
Schauws: Ich glaube, dass die Gesellschaft dadurch noch stärker politisiert wird. In Solingen war es das „Fest der Vielfalt“, das gefeiert werden sollte. Es ist ganz wichtig, dass man sich diese Räume nicht nehmen lässt und mit einem gestärkten Bewusstsein öffentliche Feste feiert. Das ist auch eine Haltungsfrage. Wichtig ist, zusammen zu stehen und sich nicht spalten zu lassen.
Aktuell arbeiten sie am Thema Schwangerschaftsabbruch, dem §218 StGB, für den Sie eine Reform vorschlagen…
Schauws: Genau. Bestätigung bekamen wir jetzt durch eine unabhängige Kommission, die empfiehlt, ein Gesetz zu schaffen, dass Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase endlich legalisiert und nicht mehr unter Strafe stellt. Es ist überfällig, Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper zu geben. Dass der Schutz des ungeborenen Lebens in der späteren Phase der Schwangerschaft klar benannt wird, gehört auch dazu. Umfragen zeigen übrigens, dass eine Mehrheit von nahezu 80 Prozent der Deutschen für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist. Deshalb setze ich mich in interfraktionellen Gesprächen für eine Reform des Gesetzes ein. Übrigens: Im US-Wahlkampf ist das eines der zentralen Themen von Kamala Harris.
Ein anderes Thema, wichtig nicht nur für Krefeld, ist das Ergebnis der Machbarkeitsstudie, dass die Entomologen ins Alte Stadtbad ziehen könnten. Sie haben mit Otto Fricke und Kerstin Radomski Fördermittel für die Studie ermöglicht…
Schauws: Es gab viele Vor-Ort-Termine zum Beispiel mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth und viel Arbeit im Hintergrund. Hier waren Otto Fricke und ich immer gut abgestimmt. Wenn am Ende gelingt, dass die Entomologen einen sicheren Standort haben, wäre das nach Jahrzehnten ein richtig großer Erfolg, auf den ich sehr stolz wäre. Wichtig wäre für die Entomologen zudem eine institutionelle Förderung. Wir arbeiten in Berlin an einer Lösung, die aber Zeit in Anspruch nehmen wird. Eine gute Devise, die ich unter uns Krefelder Abgeordneten schätze, ist: Wenn wir für Krefeld etwas erreichen wollen, schauen wir weniger nach Parteifarben, sondern dass wir uns in der Sache einig werden.