Reportage Was Knöllchen-Schreiber in Krefeld erleben

Krefeld · Wütende Autofahrer und Beleidigungen — Ausnahme oder Alltag? Zur Woche des Respekts hat unser Autor zwei Menschen begleitet, die öfter hitzige Situationen überstehen müssen.

Sylvia Kohl und Sven Bernedeit bei ihrem Rundgang auf dem Hirschfelder-Platz.

Foto: Andreas Bischof

Kurz nach 10 Uhr, zu „Tour zwei“ gehört auch einer der zentralsten Parkplätze Krefelds. Sylvia Kohl und Sven Bernedeit teilen sich die Reihen der Stellflächen auf. Auf ihren dunkelblauen Jacken ist „Fachbereich Ordnung“ zu lesen. Kohl und Bernedeit würden sich als Politesse oder Politeur bezeichnen. Der erste Treffer lässt nicht lange auf sich warten. Bei einem Smart ist kein Parkschein zu sehen. Sylvia Kohl wartet ab. Ein Mann kommt gerade noch aus Richtung Fahrscheinautomat, biegt dann aber in Richtung eines anderen Fahrzeugs ab. Die Frist ist abgelaufen: Die Politesse zückt ein Smartphone. Auch Knöllchen werden in Krefeld seit ein paar Jahren per App verteilt, erklärt die 54-Jährige.

Knöllchen werden per Smartphone-App verteilt

Sie macht mehrere Fotos von der Front des Fahrzeugs, auch das Nummernschild, der Stand der Reifen und der Standort werden erfasst. Ähnlich wie an einer Supermarkt-Kasse kommt das Knöllchen dann aus einer Art Mini-Drucker — den hat Kohl aber wie eine Gürteltasche umhängen.

„10 Euro Verwarngeld“ ist unter anderem auf dem Knöllchen zu lesen. Die vielen Fotos und Angaben mit App-Unterstützung erleichtern die Arbeit, sagt Kohl, die den Job seit 14 Jahren macht. Es sind Beweise, die Ausreden schwierig machen. Früher hätten sich einige Autofahrer ohne Parkschein noch schnell einen Schein nachgezogen und sich dann beschwert: „Haben Sie den nicht gesehen?“. Dabei handele es sich noch um eine eher harmlosere Aussage.

„Einmal musste ich tatsächlich die Polizei rufen“, sagt Kohl. In einem „Rotlichtbereich“ Krefelds hatte jemand im absoluten Halteverbot geparkt. Er habe Kohl beleidigt und sei ihr gefährlich nahegekommen. Die Polizei habe die Situation dann aber klären können. Eine Ausnahmesituation. Besucher, die Zootiere verletzten, Einsatzkräfte, die darum bitten müssen, zu helfen statt mit dem Smartphone draufzuhalten – wie sehen die beiden Mitarbeiter der Stadt die Entwicklung? Fehlt immer öfter der Respekt im Umgang miteinander?

Die Antworten bilden beides ab. Graubereich: Man bekomme schon mit, dass vor allem Jüngere schneller aggressiv werden, sagt Kohl. Ihr Kollege erklärt, dass er in drei Jahren Knöllchen-Dienst nur einmal wirklich beleidigt worden ist — „Waschlappen“ habe ihn jemand genannt. Darüber kann sich Sven Bernedeit amüsieren. Weniger witzig: Eine Kollegin sei an der Königstraße bedroht worden.

Kohl erinnert sich noch an eine junge Frau, die an der Königstraße mit Parkscheibe geparkt hatte, weil ein Automat defekt war. Der Haken: Sie hatte die Höchstparkdauer überschritten. „Was das denn solle“, habe die Frau gesagt. Und weiter: „Ich sage Ihnen mal was, ich studiere Jura.“ Für Kohl sei das eher lustig: „Ich denke mir dann meinen Teil“, sagt sie.

Klar ist: Negative Erfahrungen kommen vor, sind aber eher die Ausnahme. Das wird auch bei der Tour über den Hirschfelder-Platz bei verschiedenen Situationen deutlich: Bernedeit will gerade das nächste Knöllchen erstellen, da kommt der Fahrer in Handwerker-Montur zurück zu seinem Fahrzeug, erfasst die Situation, kann dann aber aufatmen. „Ist ok“, sagt Bernedeit. Der Parkschein sei 25 Minuten „drüber“. Das liege aber im Ermessensspielraum. Glück für den Autofahrer.

Bernedeit drückt in diesen Situationen ein Auge zu. Von einem Knöllchen habe er schließlich auch nichts – in der beschriebenen Situation möglicherweise „nur Ärger“, sagt der 39-Jähriger und räumt mit einem Gerücht auf: Es gebe keine Bonus-Zahlungen für Politessen, die besonders viele Knöllchen verteilen. Auch wenn manche Kollegen in diesem Ermessensspielraum möglicherweise strenger agieren als andere.

Die meisten Knöllchen würden auf größeren Parkplätzen verteilt — dazu gehöre beispielsweise auch die Flächen auf dem Westwall, der Bereich hinter dem Hauptbahnhof oder der Parkplatz am Helios-Klinikum. Samstags würden zudem immer wieder Autofahrer nicht daran denken, dass es sich um einen Werktag handelt. 2,2 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr durch Knöllchen eingenommen worden, hatte die Stadt zuletzt unserer Redaktion erklärt. Nicht nur Politessen, auch Kommunaler Ordnungsdienst und Polizei können in dem Bereich tätig werden.

Die Mitarbeiter drücken
öfter mal ein Auge zu

Sylvia Kohl und Sven Bernedeit wirken bei der Tour bis zum Schluss nachsichtig und freundlich. Einem Autofahrer, der ebenfalls kurz vor der Knöllchen-Vergabe mit einem Koffer zu seinem Fahrzeug eilt, macht Bernedeit klar, dass er sich keine Sorgen machen müsse — vor dem Urlaub gebe es kein Verwarngeld. Dieser Umgang mit dem Gegenüber helfe auch in kritischen Situationen. Wenn jemand aggressiv werde, müsse man ruhig bleiben, sich nicht auf die Diskussion einlassen oder selber laut werden. Und im Notfall: „Wir können aus der Situation herausgehen“, sagt Kohl.

Zumindest auf dem Hirschfelder-Platz wird an diesem Vormittag niemand aggressiv. Was Kohl und Bernedeit aber schon länger negativ auffalle: „Drogenabhängige“, die sich in dem Bereich aufhalten und sich „kloppen“. „Uns haben schon öfter Bürger angesprochen, die sich Sorgen machen“, sagt Bernedeit. „Wir haben keine Angst“, ergänzt Kohl. Sie beobachte aber Autofahrerinnen, die Angst hätten. An diesem Vormittag bittet das Duo einen mutmaßlichen Abhängigen freundlich, den Parkplatz zu verlassen. Was am Ende der Runde über den Hirschfelder-Platz hängen bleibt: Die Strategie der Knöllchen-Schreiber ist Freundlichkeit – egal, wem gegenüber.