Herr Neukirchen, was ist dran an so Sprüchen wie „Auf Handwerker kannst du in diesen Bau-Boom-Zeiten ewig warten - die haben es nicht mehr nötig.“
Wirtschaft und Verbraucher in Krefeld Handwerker arbeiten an ihrer Belastungsgrenze
Krefeld · Paul Neukirchen spricht im Interview über den Bau-Boom und warum die Unternehmen mit der Arbeit nicht hinterherkommen können.
Paul Neukirchen ist Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Niederrhein. Sie ist Interessenvertretung des Gesamthandwerks in den Regionen Krefeld, Kreis Viersen und Rhein-Kreis Neuss. Ihren Sitz hat sie am Westwall.
Paul Neukirchen: Viele Handwerker arbeiten schon seit einiger Zeit an ihrer Belastungsgrenze. Wir haben eine hohe Nachfrage, anhaltend niedrige Zinsen und entsprechend viele Aufträge. Gleichzeitig jedoch fehlen Fachkräfte. Viele Betriebe würden, wenn sie könnten, zusätzliche Facharbeiter oder auch Auszubildende einstellen. Aber sie finden sie einfach nicht auf dem Arbeitsmarkt. All das führt dazu, dass man derzeit im Bau- und Ausbaubereich bis zu zehn Wochen auf den Handwerker warten muss. Klar ist: Das gefällt niemandem – auch dem Handwerker nicht. Denn er lebt, wie auch seine Mitarbeiter und Familie, von Aufträgen und zufriedenen Kunden. Handwerker lehnen ohne Grund keine Aufträge ab. Aufträge annehmen ist für sie viel angenehmer.
Der Bau-Boom ist ja unbestritten. Was bedeutet er gerade für kleinere Unternehmen, für Ein-Mann-Betriebe?
Neukirchen: Auch die kleineren Betriebe mit wenigen Mitarbeitern sind derzeit voll ausgelastet. Allerdings spielen Einzelkämpfer im klassischen Bau- und Ausbauhandwerk – sprich: Hochbau, Zimmerer, Dachdecher, Elektro, Sanitär-Heizung, Tischler, Maler – keine große Rolle. Diese Handwerksmeister finden ihren Markt meist bei Kleinreparaturen im privaten Bereich.
Die derzeitige Wirtschaftslage müsste doch die beste Werbekampagne in Sachen Nachwuchs sein - trifft das im Fall von Krefeld zu?
Neukirchen: Im Krefelder Handwerk beginnen in diesem Jahr mehr junge Menschen eine Ausbildung als 2017. Ende letzten Jahres hatten wir 212 neue Ausbildungsverträge in den Krefelder Handwerksbetrieben. In diesem Jahr sind es bis jetzt schon 222. Die Tendenz ist eindeutig steigend, und wir erwarten in den nächsten Monaten noch einen weiteren Zuwachs. Es scheint sich herumzusprechen, dass eine Ausbildung im Handwerk attraktiv für junge Menschen ist.
Welche Berufe üben eine besondere Anziehungskraft auf junge Krefelder aus? Welche scheinen am wenigsten attraktiv?
Neukirchen: Ganz oben auf der Skala der beliebtesten Handwerksberufe steht seit Jahren der Kraftfahrzeugmechatroniker. Auto und Technik faszinieren nach wie vor. Auto ist Image und Emotion. Berufe rund um das Auto bringen außerdem Anerkennung im Freundeskreis. Das sind wichtige Entscheidungsgründe für die jungen Menschen. Sehr beliebt sind auch anerkannt anspruchsvolle Berufe wie zum Beispiel der Elektroniker und der Anlagenlagenmechaniker. Hier finden junge Leute tolle technische Herausforderungen und damit auch gute Zukunftsperspektiven und Verdienstmöglichkeiten.
Unterschiedlich ist das Bild im Lebensmittelhandwerk. Viele Bäcker, Fleischer und Konditoren suchen Auszubildende. Aber wir hören auch immer wieder, dass manche Betriebe mehr Bewerber haben als Ausbildungsplätze. Und die jungen Menschen selbst berichten, wie viel Spaß ihnen die Ausbildung im Bäcker-, Fleischer- oder Konditorhandwerk macht. Wie attraktiv ein Ausbildungsberuf ist, hängt von vielen Dingen ab. Eine generelle Einstufung ist deshalb schwierig und kann ungewollt Vorurteile verfestigen. Das gilt auch für den Friseurberuf. Oft kommt es hier auf den Ausbildungsbetrieb an.
Wie sieht es beim Thema Nachfolge aus: Haben die Söhne und Töchter noch Lust auf den Beruf der Eltern?
Neukirchen: Auch hier ist eine pauschale Antwort schwierig. Wir haben viele gute Beispiele für gelungene Betriebsübergänge in Handwerksfamilien – oft über mehrere Generationen. Insgesamt jedoch werden Nachfolger gesucht. Viele Unternehmen stehen in den nächsten Jahren vor einem Genrationswechsel, und es gibt weder in den Familien selbst noch von außen genügend Nachwuchs. Hier droht ein großer Schwund – auch an Arbeitsplätzen, denn mit jedem Handwerksbetrieb, der schließen muss, weil er keinen Nachfolger findet, fallen im Schnitt vier bis sechs Stellen weg. Ein junger Handwerksmeister oder eine Meisterin hat beste Chancen, sich mit einer Betriebsübernahme selbständig zu machen und dauerhaft erfolgreich zu sein. Ich kann nur jeden ermuntern, seine Chancen zu nutzen.
Immer wieder ist von neuen Berufen zu lesen und zu hören, die wir heute noch nicht kennen. Hätten Sie ein Science-Fiction-Beispiel aus dem Handwerk?
Neukirchen: Als vor 200 Jahren Stellmacher aus Holz und Eisen Räder für Pferdekutschen herstellten, hätte niemand geglaubt, dass heute Karosseriebauer aus Stahl, Aluminium, Kunststoff und Kohlefasern Karosserien für Autos produzieren können. Die Materialien und Werkzeuge haben sich geändert, nicht aber der Grundsatz des handwerklichen Könnens. Wer weiß, vielleicht installieren Elektroniker keine Lichtschalter mehr, sondern nur noch sprachgesteuerte Systeme.