Liebesbriefe zweier verfolgter Menschen
Durch einen Zufall fielen der Heimatforscherin Hanna Eggerath die Briefe ihrer Eltern in die Hände, die sich beide im Jahr 1933 aus der Schutzhaft und dem Konzentrationslager geschrieben haben. Es handelt sich um Zeugnisse einer dunklen Vergangenheit, die Eggerath mittlerweile veröffentlicht hat.
Erkrath. Es gibt diese ganz besonderen Momente im Leben eines Menschen, an die man sich immer so erinnern wird, als wäre es erst gestern gewesen. Manchmal sind es die schönen Augenblicke, die man zeitlebens vor Augen hat. Oft aber ist es auch das, was die Seele auf eine besonders eindringliche Weise aufgewühlt hat.
Für Hanna Eggerath gehört zu ebenjener Kategorie der Tag, an dem sie die Liebesbriefe ihrer damals längst verstorbenen Eltern in den Händen hielt. Auf Papier verewigtes Leid — geschrieben aus dem Konzentrationslager und der Schutzhaft. Und über Jahrzehnte hinweg versteckt im Ofenrohr eines alten Kamins, verborgen vor den Augen der Nachwelt.
Was macht man mit einem solchen Fund? Schaut man sofort hinein in die in Worten verewigten Gefühlswelten zweier Menschen, die zeitlebens darum bemüht waren, das Leben ihrer Tochter nicht durch das eigene Trauma zu verdunkeln? Fragen, die sich auch Hanna Eggerath gestellt hat. Und dennoch war es der Heimatforscherin ein großes Anliegen, das Grauen dem möglichen Vergessenwerden zu entreißen.
Hanna Eggerath, Heimatforscherin
„Ich habe nächtelang nicht geschlafen“, erinnert sie sich im Rückblick an die Tage, in denen sie eintauchte in eine Zeit, von der sie selbst bis dahin nur wenig wusste. Der Vater hatte nie davon erzählt — für ihn war die danach geborene Tochter ein hoffnungsvoller Neubeginn. „Vermutlich hat ihn das vor Depressionen bewahrt“, glaubt Hanna Eggerath.
Noch heute erinnert sie sich gern daran, mit wie viel Humor und Lebensfreude sie vom Vater beschenkt wurde. Auch die Mutter trug die Erinnerungen an den Gefängnisaufenthalt zeitlebens mit sich herum. Ihr jedoch war es vergönnt, darüber sprechen zu können.
„Es war dieser besondere Gesichtsausdruck, bei dem ich immer wusste, dass sie jetzt etwas Wichtiges und Ernstes zu erzählen hatte“, erinnert sich Hanna Eggerath an die Augenblicke, in denen das kindliche Gemüt hineingezogen wurde in die Abgründe einer traumatisierten Seele.
Als sie später die Briefe der Eltern in den Händen hielt, wusste sie, warum das so war: „Ich las sie mit Scheu und klopfendem Herzen und entdeckte in der schlichten, ungezierten Sprache so viel Poesie und Tapferkeit.“
Vor den Augen der Heimatforscherin breitete sich ein Lebensschicksal aus, das sich inmitten der Kriegswirren noch unzählige Male wiederholen sollte. Kinder wurden aus den Armen ihrer Eltern gerissen, Liebende voneinander getrennt. Warum? Das blieb oftmals im Verborgenen.
„Lieber Eugen, leider kann ich Dir keinen Tabak und keine Wäsche bringen. Ich bin seit gestern wie Du in Untersuchungshaft. Warum, ist mir schleierhaft.“
Mit diesen Worten beginnt Mathilde Eggerath ihren allerersten Brief, den sie am 13. März 1933 aus der Schutzhaft an ihren Mann Eugen schrieb, den nur wenige Tage zuvor das gleiche Schicksal ereilt hatte. Der Vater, als Bühnenmeister gerade auf einer Gastspielreise. Die Mutter in der Waschküche — im Trainingsanzug, mit Holzpantinen und noch ganz nass vom Wäschewaschen. Verhaftet, weil beide Mitglied der KPD waren, sich im „Einheitsverband für proletarische Sexualreform und Mutterschutz“ engagierten und weil sie einem KPD-Mitglied Unterschlupf gewährt hatten.
Eugen Eggerath an seine geliebte Mathilde 1933
Das alles wird Hanna Eggerath später über den Moment erfahren, in dem sich das Leben der Eltern von einem auf den anderen Tag ändern sollte. Dem ersten Brief sollten noch viele folgen, in denen sie versuchten, sich gegenseitig Mut zu machen.
Derweilen machten beide schier unerträgliche Erfahrungen voller Demütigungen und Ohnmacht, inmitten derer die Lebensentwürfe zusammenbrachen. Nach der Schutzhaft ins Konzentrationslager Börgermoor überführt, breitete sich Schreckliches vor den Augen des Vaters aus. Und dennoch fand er die Kraft, seine Frau mit solch poetischen Worten zu trösten: „Kopf hoch, mein gutes Mathildeherz. Weine nicht so viel, damit ich, wenn ich noch einmal zurück komme, Deine lieben Augen noch unversehrt wieder finde.“
Zwischen den Zeilen ist sie zu spüren — die Furcht, dass es kein Wiedersehen mehr geben könnte. Glücklicherweise sollte sich Monate später doch noch alles zum Guten wenden, die Liebenden waren wieder vereint.
Zurück blieben viele Narben, die sich tief in die Seele eingebrannt hatten. Aber auch die Freude über das Leben mit der gemeinsamen Tochter Hanna, die erst nach den Ereignissen das Licht der Welt erblickt hatte.
Und die wiederum veröffentlicht Jahrzehnte später die Briefe der Eltern, um sie dem Vergessenwerden zu entreißen.