Hildener hütet Brief von Heinrich Böll

Rolf Schnatenberg bekam in Deutsch eine schlechte Note. Da schrieb er an den Schriftsteller.

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Hilden. Dieser Tage hat unsere Zeitung an Heinrich Böll (1917-1985) erinnert. Er wurde vor 100 Jahren geboren und war der erste deutsche Literaturpreisträger (1972) nach dem Krieg. Rolf Schnatenberg, Inhaber des bekannten gleichnamigen Kaufhauses an der Mittelstraße (es schloss 2004), verbindet eine Geschichte mit dem Kölner Schriftsteller.

Als 17-Jähriger musste Schnatenberg eine Interpretation zu Bölls berühmter Kurzgeschichte „Wanderer, kommst du nach Spa“ (veröffentlicht 1950) schreiben. Ein junger Soldat wird im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet in ein Notlazarett gebracht. Er hat keine Arme mehr und nur noch ein Bein.

Heinrich Böll

Nach und nach wird dem Ich-Erzähler klar, dass er im Zeichensaal seiner alten Schule liegt, die er vor drei Monaten verlassen hat. Beweis ist die Kreide-Inschrift auf der Tafel „Wanderer, kommst du nach Spa“, die er selbst geschrieben hat. Der Deutsch-Lehrer an der Fabry-Realschule gab Rolf Schnatenberg für dessen Interpretation damals ein „Ausreichend“: „Am liebsten hätte er mir eine Fünf gegeben, hat er noch dazu gesagt.“ Begründung: „Der Lehrer hatte gesagt, Böll könne das nur schreiben, weil er das selbst erlebt habe. Ich sah das anders.“ Den 17-Jährigen wurmte nicht nur die schlechte Note, er fühlte sich auch unfair behandelt. Die Sache ließ ihm keine Ruhe. Da riet ihm sein Vater: „Dann schreib‘ doch mal an Böll.“ Rolf Schnatenberg bekam die Adresse des Schriftstellers heraus und schrieb ihm einen Brief. Darin schilderte er seinen Fall. Sechs Monate später mit Datum vom 12. April 1967 antwortete Heinrich Böll tatsächlich dem „Schüler Rolf Schnatenberg“. Der heute 67-Jährige hütet diesen Brief wie einen Schatz.

Man müsse zwischen „Erfahrung“ und „Erlebnis“ unterscheiden, schreibt Böll: „Erfahren habe ich von dem, was ich geschrieben habe, viel, erlebt habe ich davon fast nichts.“ Erlebt im autobiografischen Sinne „habe ich sehr wenig von dem, was man als Inhalt der Geschichten bezeichnen kann: im Falle „Wanderer kommst du nach Spa“ wäre das aus biografischen Gründen gar nicht möglich, denn ich war bei Kriegsende 28 Jahre alt, ich habe die Schule schon 1937 absolviert, und die Geschichte spielt bei Kriegsende, ihr Held ist 16,17 Jahre alt.“

Eines aber „stimme“, erläutert Heinrich Böll: „Ich habe in diese Geschichte alle Requisiten des humanistischen Gymnasiums übernommen, wie es meiner Generation aus dem 19. Jahrhundert überkommen war, hineingenommen, und vielleicht erklärt Ihnen dieses Detail etwas.“ Es sei ein „landläufiger Irrtum“, schreibt Böll, dass man den Autor stets im „Haupthelden“ vermute — „meist steckt er viel eher in einer Nebenfigur, einem Kellner etwa, einem vorüberfahrenden Autofahrer etc.“

Und dann greift der berühmte Autor zu einem Bild, um zu erklären, was er meint. „Drei, vier dicke Tropfen Blut färben schon ein Waschbecken voll. Wenn Sie das jetzt rein physikalisch analysieren, in dem Sie die Quantität Blut mit der Quantität Wasser vergleichen, ergibt sich vielleicht aus diesem Vergleich eine annäherungsweise Erklärung des Autobiographischen in einem Werk.“ Der maschinen geschriebene Brief schließt „Mit bestem Dank für Ihren Brief und vielen Grüßen“ und handschriftlich „Ihr Heinrich Böll“.

Der Schriftsteller hatte seine Interpretation bestätigt: Der damals 17-Jährige war glücklich. Und was hat sein Deutschlehrer zu Bölls Brief gesagt? „Er hat ihn nie zu sehen bekommen“, sagt Rolf Schnatenberg: „Die Sache lag ja schon sechs Monate zurück. Ich habe sie auf sich beruhen lassen.“