Autofahrer sind sich ihrer Verletzbarkeit nicht bewusst
Dr. Karin Müller ist die Leiterin des Bereichs „Mensch und Gesundheit“ bei der Prüfgesellschaft Dekra. Im Gespräch beleuchtet sie die Vielzahl der Unfälle auf der A 1. Thema ist immer das eigene Fahrverhalten.
Langenfeld/Monheim. Frau Dr. Müller, im vergangenen Jahr hat es auf dem Teilstück der Autobahn 1 zwischen Burscheid und Leverkusen 55 Auffahr-Unfälle gegeben, dabei starben sechs Menschen. Das Jahr 2017 ist noch nicht mal anderthalb Monate alt , und es gibt schon einen weiteren Toten. Alle Verkehrszeichen, Warnhinweise oder Tempokontrollen haben bislang nichts daran ändern können. Ist der Faktor Mensch einfach nicht in den Griff zu kriegen?
Karin Müller: Ohne die örtlichen Gegebenheiten im Detail zu kennen: Der Mensch ist eigentlich nicht dafür geschaffen, sich mit hohen Geschwindigkeiten — wie auf der Autobahn üblich — fortzubewegen. Autofahrer sind oft einfach von der Fülle der Reize überfordert — und wenn dann auch noch das Radio läuft und eine SMS geschrieben wird, kann es sehr schnell sehr gefährlich werden.
Was ist aus Ihrer Sicht einer der größten Fehler beim Autobahnfahren?
Müller: Die Selbstüberschätzung. Das beginnt in gewisser Weise schon mit dem Aufstehen. Viele Autofahrer setzen sich übermüdet ans Steuer und vertrauen darauf, dass sie die Lage schon im Griff haben werden. Haben sie aber nicht — schon gar nicht in einer spontan auftretenden, komplexen Verkehrs-Situation wie einem plötzlichen Stau auf der A1 oder einer anderen Autobahn.
Und da reden wir noch nicht von Ablenkungen wie Handy oder Radio etc…?
Müller: Genau. Damit wären wir bei der nächsten Selbstüberschätzung: der so genannten Fähigkeit zum Multitasking, also dem gleichzeitigen Erledigen verschiedener Aufgaben. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Mensch nicht multitaskingfähig ist — erst recht nicht beim Autofahren. Das Schreiben einer SMS beispielsweise lenkt den Autofahrer derart ab, dass selbst bei geringem Tempo schon das Risiko für einen gefährlichen Unfall stark ansteigt.
Eine kanadische Studie hat ergeben, dass 90 Prozent aller Autofahrer überzeugt sind, besser zu fahren als der Durchschnitt.
Müller: Von dieser Sorte gibt es einige Studien. Demnach sind es meist Männer, die sich für besonders gut halten. Mit der Realität auf Autobahnen hat das nichts zu tun.
Was spielt aus verkehrspsychologischer Sicht darüber hinaus noch eine wichtige Rolle bei Unfällen?
Müller: Wir nennen es den „Mythos der eigenen Unverletzbarkeit“. Kaum ein Autofahrer ist sich wirklich bewusst, wie verletzbar er im Auto auf einer Autobahn tatsächlich ist. Entsprechend risikobereit fahren viele. Dazu trägt natürlich auch ein extremes Vertrauen in die Technik bei — man lässt sich gerne davon leiten, dass die Autos heute viel sicherer sind als früher.
Was raten Sie den Verkehrsteilnehmern, gerade auf einer Autobahn?
Müller Das Beste ist, sich ganz aufs Fahren zu konzentrieren, möglichst ausgeruht und ohne Ablenkungen.
Kann man so etwas denn überhaupt überprüfen?
Müller: Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat DVR lässt immer mehr verkehrspsychologische Aspekte in seine Programme, Trainings und Kampagnen einfließen. Auch in der Vorbereitung auf die Fahrprüfung spielen diese Aspekte eine immer größere Rolle. Und in der Prüfung selbst ist mittlerweile der Bereich Risiko-Wahrnehmung ein fester Bestandteil. Wir müssen lernen, dass wir die Unfallzahlen wirklich nur dann in den Griff bekommen, wenn wir alle bei unserem eigenen Fahrverhalten anfangen.