Das Pferd als Therapeut
Hendrik Wolters nimmt seit drei Jahren an der Reit-Therapie von Birgit Muhr teil. Die Zeit mit Pony Theo schult sein Gleichgewicht und gibt ihm neues Selbstbewusstsein.
Langenfeld. Wenn Hendrik das Gittertor mit Pferdeemblem passiert, lässt er seinen Alltagsstress draußen. Er weiß, gleich darf er wieder auf Theo reiten. Darauf freut sich der 17-Jährige schon den ganzen Tag. Birgit Muhr bietet seit 2007 auf dem Gelände am Schelthofen therapeutisches Reiten an. Hendrik ist seit drei Jahren dabei.
Brigitta Wolters, Mutter eines Reitschülers
Das Wort „Therapie“ fällt während der Unterrichtsstunden allerdings nie. „Die meisten Kinder haben eine Therapie nach der nächsten hinter sich. Sie sind einfach Therapiemüde“, sagt Muhr. Bei ihr gibt es kein starres Programm mit festen Übungen, der Mensch gibt den Therapieweg vor.
Hendrik hat eine sensomotorische Integrationsstörung. Körper- und Raumwahrnehmung fallen ihm schwer. Das Reiten hilft ihm, seinen Gleichgewichtssinn und seine Koordination zu schulen — ganz automatisch. „Wir erzeugen keine künstliche Situation wie ein Ergotherapeut in einer Praxis“, sagt Muhr. So macht Hendrik keine Übungen, die nach Therapiestunde aussehen: er schiebt die Schubkarre, hilft beim Ausmisten der Ställe oder striegelt die Pferde. „Das alles erfordert ebenfalls eine genaue Koordination“, sagt Muhr.
Vor elf Jahren entschied sie sich eine Ausbildung zur Reittherapeutin zu machen. Auslöser für diese Entscheidung war eine Situation, die sie noch heute rührt. Ihr Pony Prinz berührte mit seinem Maul einen schwerbehinderten Jungen. Dieser drehte seinen Kopf, streckte Prinz den Arm entgegen und lächelte. „Seine Krankengymnastin fing zu weinen an, weil Prinz in zwei Minuten schaffte, was sie schon lange versucht hatte“, sagt Muhr, die selbst schon seit 42 Jahren reitet.
Die Reit-Therapie ist für sie Hobby und Leidenschaft zugleich. Hauptberuflich ist Muhr Krankenschwester in den Rheinischen Landeskliniken. Mittlerweile hat sie neun Ponys, die sie für die Reitstunden einsetzt. Die Gruppen sind integrativ aufgebaut. „Ich halte nichts davon, Menschen mit Handicap auszugrenzen“, sagt die Therapeutin. Das Miteinander sei wesentliches Element ihrer Arbeit.
Auch die Mutter von Hendrik, Brigitta Wolters, sieht in dem gemeinsamen Erleben einen klaren Vorteil. „Zuvor war Hendrik bei den Therapiesitzungen meist alleine. Hier hat er Freunde gefunden und seine Behinderung steht nicht im Vordergrund.“ In den drei Jahren habe Hendrik große Fortschritte gemacht. „Er ist viel selbstbewusster geworden“, sagt Brigitta Wolters.
In den ersten Reitstunden hatte sich Hendrik nicht zugetraut, die Hufe der Pferde sauber zu machen. Mittlerweile greift er ganz selbstverständlich zum Auskratzer. Auch die Zügel hält Hendrik heute selbst in den Händen, zu Beginn wurde der 17-Jährige auf dem Pferd noch geführt. „Das heißt, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Muhr.
Hendrik hat Spaß beim Reiten, das ist für ihn die Hauptsache. Und wenn sich hinter ihm das Gittertor schließt, kann er den nächsten Besuch bei Theo kaum erwarten.