Hilden: Lebensläufe für die Nachwelt
Die Lebensgeschichten der ersten Generation der Zuwanderer wird bewahrt.
Hilden. "Was haben Sie gedacht, als Sie nach Deutschland kamen? Was haben Sie als erstes gekauft?" Anna Siepen (14) hat viele Fragen, die sie an Gaetano Bongiovanni richtet. Der 63-Jährige gibt auf jede Frage bereitwillig eine Antwort. Er erzählt davon, wie kalt es im Winter 1962/63 war, als er aus dem warmen Sizilien nach Deutschland kam.
Dass er damals, als 16-Jähriger, nicht einmal wusste, wo Deutschland geografisch lag. Und er wusste damals auch nicht, wie weit weg von seiner Heimat das Land liegt, das seine neue Heimat werden sollte. Für ihn war es ein Abenteuer, das ihm Landsleute schmackhaft gemacht hatten.
So wie Bongiovanni haben auch andere Zuwanderer der ersten Generation bereits auf die Fragen geantwortet, die ihnen von Mitgliedern des Jugendparlaments gestellt wurden. Sie gehören dem Arbeitskreis "Wir gegen Rechts" an und opfern für die Interviews auch einen Teil ihrer Ferien. "Dann haben wir die Zeit dazu", sagt Anna.
Schließlich soll das Ergebnis ihrer Arbeit im November fertig sein: Eine DVD für die Hildener Schulen, mit der den Schülern die Lebensgeschichte dieser Männer und Frauen näher gebracht werden soll. "Wichtig sind uns dabei vor allem die Geschichten der Frauen, die bisher ganz wenig erfasst wurden", sagt Michael Krambrock, Mitarbeiter des Stadtarchivs.
Dort sollen die kompletten Interviews aufbewahrt werden, "denn es gibt bisher wenige Dokumente und Informationen über die erste Zuwanderer-Generation", sagt Krambrock. Damals, in den 50er- und 60er-Jahren, als die ersten Italiener, Spanier, Griechen, Türken, Marokkaner, Portugiesen und Jugoslawen nach Deutschland kamen, wurde noch davon ausgegangen, dass die "Gastarbeiter" nach zwei bis drei Jahren wieder in ihre Heimat zurückfahren. Dem war nicht so. Sie blieben in Deutschland - mit all ihren Erinnerungen, die mit ihrem Ableben verloren gingen.
"Ich habe keine leichte Kindheit gehabt", erinnert sich Bongiovanni. In Armut sei er aufgewachsen, ohne ein eigenes Bett: "Ich musste mir mein Bett mit meinem Bruder teilen" - und mit Mehlwürmern. Er erzählt gern davon, "damit die Leute heute und später wissen, wie es mir und meinen Landsleuten ergangen ist", sagt er. Dass er nur fünf Jahre lang die Schule besucht und vor dem morgendlichen Weg zur Schule noch den Mist der Tiere weggefahren hat. Die Tiere lebten mit im Haus.
Für Hamsa El Halimi (16) sind die Interviews auch ein Spiegelbild seiner eigenen Geschichte. Auch er ist Mitglied des Jugendparlaments und wurde in Hilden geboren. Das Land seiner Vorfahren kennt er nur durch die Ferienfahrten. "Warum ich in Deutschland bin", möchte er wissen. Darum hat er seinen Großvater gebeten, sich auch als Interviewpartner zur Verfügung zu stellen. "Privat habe ich mit meinem Opa noch nicht darüber gesprochen", sagt der 16-Jährige.
Sein Großvater wird wie Gaetano Bongiovanni seine persönliche Geschichte erzählen können, die stellvertretend für eine ganze Generation von Menschen steht, die ihr Glück in Deutschland suchte und dafür ihr bisheriges Leben zurückließ.
Bongiovanni hat sogar seinen eigenen Friseurladen aufgegeben, um - gegen den Willen seiner Eltern - nach Deutschland zu fahren. Den hatte er ein Jahr vor seiner Abreise von seinem Schwager übernommen. Bereut hat der 63-Jährige diesen mutigen Schritt nicht, denn "ich habe keine Probleme in Deutschland gehabt".