Kinderarzt half in Äthiopien und im Südsudan

Der Langenfelder Arzt Hubert Wieczorek war mehrere Monate für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ in Krisengebieten.

Langenfeld. Fatima und Mohammed waren bis auf die Knochen abgemagert, als sie im Flüchtlingslager ankamen. Ihr Vater war von Milizen getötet worden, die Mutter hatte die zwei Jahre alten Zwillinge über die Somalische Grenze nach Äthiopien geschleppt. Bei der Ankunft im Lager wog Fatima gerade einmal vier Kilo — so viel wie ein Neugeborenes. Ihr Bruder war etwas kräftiger: Er wog fünf Kilo.

Das Schicksal der Zwillinge ist dem Langenfelder Hubert Wieczorek besonders im Gedächtnis geblieben. Der 33-jährige Kinderarzt war für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ im Flüchtlingslager in Dolo im Einsatz und kümmerte sich hauptsächlich um die unterernährten Kinder, die mit ihren Müttern über die Grenze kamen.

„Fatima ist nach einer Woche gestorben“, erinnert sich Wieczorek. Ihr schwacher Körper nahm die Nahrung — eine spezielle Milch, die über eine Magensonde verabreicht wurde — nicht mehr an. Sie starb am Morgen und wurde mittags auf einer Ackerfläche in der Nähe des Lagers begraben. Fatimas Bruder hingegen überlebte.

Wieczorek hat während seines Aufenthalts im Sommer vergangenen Jahres viele Kinder sterben sehen. Zusätzlich zum Bürgerkrieg herrschte während der Zeit eine schwere Dürre. „Die Menschen, die im äthiopischen Flüchtlingslager ankamen, waren völlig geschwächt. In ihrer Heimat war ihnen das Vieh gestorben, auf der Reise hatten sie auch nichts zu essen bekommen. Sie hatten nichts dabei außer den Klamotten, die sie am Leib trugen.“ Zu Spitzenzeiten kamen bis zu 2000 Menschen täglich ins Lager — Mütter mit vielen Kindern.

Wie schlimm es um die Kinder stand, erkannten die Hilfskräfte vor Ort, die Hubert Wieczorek schulte, anhand eines Teststreifens. Diesen wickelten sie um den Oberarm der Kinder, um zu sehen, wie abgemagert und behandlungsbedürftig sie sind: „Fünf Jahre alte Kinder hatten einen Umfang von 82 Millimetern“, sagt Wieczorek und rollt den Teststreifen noch einmal zur Veranschaulichung zusammen — in dem Kreis, der übrig bleibt, hätte gerade mal ein Kronkorken Platz.

Die meisten Kinder waren so krank, dass ihre Körper nicht mehr in der Lage waren, Nahrung aufzunehmen. „Der Organismus hatte die Funktionen nahezu eingestellt: die Verdauung, die Nierenfunktion, den Gehirnstoffwechsel“, sagt Wieczorek. „Die Kinder sahen teilweise aus wie tot.“

Viel Zeit nachzudenken, blieb Wieczorek jedoch nicht. „Man steckt so in der Arbeit drin“, sagt er. Anfangs sei der Umgang der Mütter mit dem Tod ihrer Kinder aber sehr verstörend gewesen. „Die Mutter isst ihr Frühstück weiter, während das tote Kind neben ihr liegt“, sagt er.

Er habe den Alltag der Menschen verstehen gelernt: „Dort kann nicht auf das einzelne Menschenleben Rücksicht genommen werden. Die Familie steht vor dem Einzelnen.“ Und das bedeute: Stirbt ein Kind, hat die Mutter noch fünf weitere durchzubringen. Sie habe keine Zeit, um das tote Kind zu trauern.

Die Normalität vor Ort habe er schnell akzeptiert. Nicht jedoch die Tatsache, eigentlich helfen zu können, wären nur die Umstände andere. „Wenn in Deutschland ein Kind im Krankenhaus stirbt, dann weiß man als Arzt, man hat alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. In Äthiopien sterben die geschwächten Kinder an Durchfall, an einer Infektion. Man weiß, hätten sie nicht das Pech gehabt, in diesem Land zu leben, hätten sie es geschafft.“

Trotz oder gerade wegen der Erlebnisse hielt es Wieczorek nach seiner Rückkehr nicht lange in Langenfeld. „Ich hatte für den Einsatz in Äthiopien meinen Job an der Düsseldorfer Uni-Klinik gekündigt. Bevor ich mir wieder etwas Festes suchte, zog es mich noch einmal weg“, sagt er.

Nach vier Wochen in Deutschland flog er für „Ärzte ohne Grenzen“ in den Südsudan. „Dort war es völlig anders“, sagt er. „Es gab ein Krankenhaus, zwar nicht zu vergleichen mit deutschen Verhältnissen, aber immerhin mit Mauern und Betten.“ Auch das Team von „Ärzte ohne Grenzen“ musste nicht bei brütender Hitze in Zelten schlafen und konnte sich, anders als in Äthiopien, frei bewegen.

In dem Lager in Yambio wurden Schwangere und Kinder medizinisch versorgt. „Es gab viele Infekte, vor allem Malaria. Aber auch Verletzungen durch Verkehrsunfälle“, sagt der 33-Jährige. „Hinzu kam die Mango-Saison. Die Kinder stürzten beim Versuch, an die schönsten Früchte zu kommen, vom Baum.“

Mittlerweile hat Wieczorek eine Stelle im Essener Elisabeth- Krankenhaus auf der Kinderstation angenommen. Er ist wieder angekommen. Die Erlebnisse bleiben aber im Kopf, sagt er.