Krieg in der Ukraine Die schwierige Flucht aus der Ukraine

Mettmann · Drei in Mettmann angekommene Flüchtlinge erzählen, was es bedeutet, Heimat und Familie verlassen zu müssen.

Volodymyr Kharchenko, Galyna Ostapenko und Olha Tenditna (v.l.) erzählen von ihrer Flucht aus Kiew nach Mettmann.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Die Augen sind ganz wach, fast kämpferisch, trotz der Erlebnisse und Widrigkeiten der vergangenen Tage. Galyna Ostapenko (65) und ihr Mann Volodymyr Kharchenko (63) flohen vor dem Krieg aus der Ukraine, aus Kiew, zu ihrer Tochter Natalie Schiebener (31) nach Deutschland. Am zweiten Tag nach Kriegsausbruch, kurz nach dem Alarm für den Luftangriff, weil ihre Tochter und ihr Mann David sie eindringlich baten, die Stadt zu verlassen. Sie packten das Nötigste ein – jeder einen Koffer, einen Rucksack sowie Schlafsäcke – und setzten sich in ihr Auto. Seit Freitag sind sie nun nach einer langen, nicht ungefährlichen Reise durch ihr Heimatland und Polen in Mettmann, die Gefühle zwiegespalten.

„Wir fühlen uns eigentlich gut, über 1700 Kilometer weit weg vom Krieg“, sagt Ostapenko auf Ukrainisch. Die Tochter übersetzt ins Deutsche. Aber auf der anderen Seite auch nicht, weil der Sohn sowie die zwei Brüder ihres Mannes in der Ukraine zurückgeblieben sind. Sie halten, so gut es geht, den Kontakt über das Internet. Zu wissen, dass immer noch Bomben auf Zivilgebäude abgeworfen werden, mache sie traurig. Die Angst um die Familienmitglieder ist groß, jeden Tag allgegenwärtig. Beide senken kurz ihren Blick, denken daran, wie viele unschuldige Menschen bereits ihre Leben in diesem Krieg verloren haben, darunter Freunde und Verwandte. Nur etwa zehn Kilometer von ihrem Haus entfernt explodierte eine Bombe.

Für 170 Kilometer
acht Stunden benötigt

Die beiden waren nicht die Einzigen, die aus der Stadt raus wollten. Es ging nur schleppend in Schrittgeschwindigkeit voran. Für 170 Kilometer brauchten sie rund acht Stunden. Was sie in dem Moment gedacht haben? „Man ist nur noch auf das Ziel fokussiert“, sagt Ostapenko. Am nächsten Tag war die Straße fast komplett leer. Der Grund: Die Brücke raus aus Kiew, über die sie am Vortag noch gefahren waren, wurde von den Russen zerstört. Sie erreichten Lwiw und kamen bei Verwandten unter. Dort blieben sie für drei Tage, denn die Schlange an der Grenze war zu lang. Am dritten Tag aber ging es dann ganz schnell. Inzwischen hatte sich auch Olha Tenditna angeschlossen, Schiebeners Cousine.

Innerhalb von zwei Stunden
war alles Nötige gepackt

Die 40-Jährige floh mit ihren Kindern Irina (8) und Eduard (5) und ihrem Mann bereits am ersten Tag aus der ukrainischen Hauptstadt, nachdem infolge einer Bombenexplosion nur 15 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt die Alarme der Autos um 5 Uhr morgens losgingen. Innerhalb von zwei Stunden hatten sie alles Nötige gepackt und fuhren los. Zunächst wollten sie nur zu Verwandten nach Lwiw und nicht das Land verlassen. Doch die Situation spitzte sich zu. Gemeinsam mit Schiebeners Eltern sowie der Cousine ihres Mannes und deren Kindern fuhren sie zur polnischen Grenze. Dort musste Tenditna ihren Mann verabschieden – ungewiss, ob sie ihn jemals wiedersehen wird. Bei der Weiterfahrt hat sie nur geweint, gesteht sie und holt tief Luft: „Er ist immer meine Stütze. Es ist sehr schwer, dass er nicht da ist.“

Für ihre Kinder muss sie stark bleiben. Zunächst hatten ihr Mann und sie ihnen erzählt, sie fahren in den Urlaub. Als aber auf dem Weg raus aus Kiew im Stau auf der Autobahn die Panzer an ihnen vorbeirollten, erzählten sie ihnen die Wahrheit. In Deutschland seien sie, um ihnen zu zeigen, wo ihr Ur-Ur-Großvater herkommt, sagt sie, wie sie ihren Kindern die Weiterfahrt erklärt hat. Die Drei sind bei einer Familie in Mettmann untergekommen. „Sie haben uns ganz toll aufgenommen, helfen mir sehr, kochen für uns“, erzählt sie dankbar. Tenditna möchte nun so schnell wie möglich Deutsch lernen.

„An der Grenze war es ein bitteres Gefühl. Weil man zwar selbst in Sicherheit war, aber noch viele liebe Menschen zurücklassen musste“, beschreibt Galyna Ostapenko. In Polen nahm sie ihr Schwiegersohn David in Empfang. Er hatte sich in den nächsten Flieger gesetzt, um seinen Schwiegereltern auf dem Rest des Weges, der noch gut zwei Tage dauerte, zu unterstützen.

Mit Deutschland haben die Eltern bisher gute Dinge verbunden, die Hochzeit der Tochter zum Beispiel. „Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich einmal als Flüchtling hier herkommen muss“, sagt Ostapenko betrübt, aber auch mit etwas Galgenhumor. Trotz der schrecklichen Ereignisse können beiden zwischendurch noch Lachen. Ihr zehn Monate altes Enkelkind, das sie am Freitag zum ersten Mal gesehen haben, gebe ihnen Kraft. „Ich dachte schon, ich würde ihn nie kennenlernen und auch meine Tochter nicht noch einmal sehen“, sagt Galyna Ostapenko und kämpft mit den Tränen. Fürs Erste wollen sie in Deutschland bleiben, ungewiss, was in Kiew überhaupt übrig bleibt. Dank der großen Unterstützung, auch durch die Stadt Mettmann, haben sie bereits Anfang dieser Woche eine Wohnung gefunden.

Über das Erlebte zu schweigen, ist für die Ukrainer keine Option. Sie wollen ihre Geschichte erzählen, um andere zu warnen. Mit Sorge blicken sie auf die Nachrichten rund um die Atomkraftwerke in der Ukraine. Sollte Russlands Präsident Wladimir Putin seine Drohung tatsächlich umsetzen und atomare Waffen einsetzen, sei die bisher so sicher wirkende Entfernung nichts. „Putin zerstört alles und tötet Menschen“, betont Kharchenko. „Ich möchte, dass die Menschen in Deutschland verstehen, dass sie der Krieg auch betreffen könnte. Wenn jemand so gierig ist wie Putin, kennt er keine Grenzen“, ergänzt seine Frau.Olha Tenditna ist sehr dankbar für die ganze Solidarität weltweit und für die Sanktionen. Das zeige, dass die Ukraine nicht alleine gegen Russland stehe. „Es wird materielle Unterstützung gebraucht“, betont sie und ergänzt „Es ist wichtig, dass die Politik schnell handelt und der Konflikt schnell gestoppt wird. Denn jeder Tag kostet weitere Menschenleben.“