Große Literatur – Türöffner zu den eigenen Gefühlen

Seit zwei Jahren gibt es das Erzählcafé im Kaiserhof. Und es wird immer beliebter.

Erkrath. Ein gutes Buch kann nicht nur einen verregneten Sonntagnachmittag retten. Ein gutes Buch entführt in eine andere Welt, regt zum Nachdenken an und bietet Gesprächsstoff.

Ein Ort für diese Gespräche ist das Erzählcafé der Stadtbücherei im Kaiserhof. Einmal im Monat treffen sich dort Literaturfreunde, um über ein ausgewähltes Buch zu sprechen - das eigentlich jedoch der Aufhänger für weitere Gespräche ist.

"Bei unseren Treffen wird ein Buch vorgestellt und besprochen. Bei jedem entstehen da die unterschiedlichsten Reflektionen. Danach wird es jedoch erst richtig interessant, wenn im Bezug auf das Buch über das eigene Leben und Erfahrungen gesprochen wird: Die Gefühle der großen Literatur sind sozusagen der Türöffner zu unseren eigenen Gefühlen", erzählt Wilma Lang, die mit Winifred Flato-Fuhrmann das Erzählcafé moderiert.

"Nach dem Tod meines Mannes habe ich nach etwas gesucht, das mir Freude im Herzen bereitet", sagt Flato-Fuhrmann. Zunächst wurde sie Vorlesepatin in der Bücherei. "Im Radio habe ich dann von einem Erzählcafé gehört. Ich wusste sofort: Das möchte ich auch machen - obwohl ich eigentlich gar keine Ahnung von Literatur habe", sagt sie rückblickend und lacht.

Auch Michaele Gincel-Reinhard war von der Idee begeistert, so dass im Mai 2007 die Premiere auf dem Plan stand. Durch Mundpropaganda ist das Café mittlerweile eine gut besuchte Veranstaltung - und Wilma Lang ans Herz gewachsen. "Fremde Menschen kommen da miteinander ins Gespräch über tiefgründige, persönliche Themen. Das immer wieder mitzuerleben, ist etwas Großes und Schönes", schwärmt sie.

"Wir sprechen aber nicht nur über Literatur", betont Flato-Fuhrmann. "Jeder kann sagen, was er denkt und fühlt - und sicher sein, dass wertschätzend damit umgegangen wird. Es herrscht stets eine tolerante Atmosphäre." Viele kommen immer wieder. "Wir hören oft, dass unsere Treffen den Besuchern unheimlich wichtig sind."

Meist kommen etwa 15 Personen zusammen. "Beim Treffen im Juli waren es sogar 20. Thema war die gegenseitige Anerkennung unserer Schmerzen und wie dies unser Leben verändert", so Wilma Lang. "Dort hat eine Besucherin, die zuvor immer sehr still war, über den Krieg gesprochen - mit Tränen in den Augen und brüchiger Stimme. Wir waren alle ergriffen."

So ernst geht es jedoch nicht immer zu. "Als wir über die ,Klatschmohnfrau’ sprachen, ging es um Sexualität im Alter - da herrschte erst mal peinlich berührte Stille", erzählt Lang. "Im Laufe der Jahre hat sich jedoch ein Vertrauen entwickelt; ein herzlicher Rahmen, der Personen verschiedener Religionen, Altersgruppen, Kulturen oder politischen Meinungen verbindet. Für viele ist das Erzählcafé ein Ventil für Dinge, die sie sonst nicht loswerden."

Das nächste Erzählcafé findet am 20. Oktober statt. Es geht um "Das Wochenende" von Bernhard Schlink. Im Mittelpunkt: ein nach 20Jahren aus der Haft entlassener RAF-Terrorist, der an einem Wochenende alte Freunde wiedertrifft. Passend dazu lautet das Erzählthema "Wie stark wird meine Gegenwart durch meine Vergangenheit beeinflusst?"