„2010 war sehr unangenehm“
Ratingens Bürgermeister Harald Birkenkamp spricht über das schwierige vergangene Jahr.
Ratingen. Millionenbetrug im Hochbauamt, Finanz- und Wirtschaftskrise — ein turbulentes und schwieriges Jahr 2010 geht zu Ende. Doch neben diesen Abgründen und Tiefen gab es auch Höhen und erfreuliche Entwicklungen.
Durchwachsen sind die Aussichten auf 2011: Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zwingen die Stadt zu einem rigiden Sparkurs, der die Handlungsspielräume einengt. Und der Betrugsskandal wartet auf seinen umfassenden Abschluss. Im Gespräch mit der WZ zieht Bürgermeister Harald Birkenkamp Bilanz und blickt auf das am Samstag beginnende Jahr.
WZ: Sind Sie froh, dass das Jahr 2010 jetzt vorbei ist?
Harald Birkenkamp: (denkt länger nach) Man wird älter und sieht manches anders als noch vor zehn Jahren. Als Bürgermeister möchte ich ein Jahr wie 2010 in keinster Weise noch einmal erleben. Das war ein sehr unangenehmes Jahr. Wie der Stadtrat mich teilweise angegangen ist, das war schon sehr hart für mich.
WZ: Sie wirken in letzter Zeit erschöpft, manche sagen, Sie seien amtsmüde.
Birkenkamp: Amtsmüde? Keineswegs! Erschöpft? Ja, das Jahr hat furchtbar viel Kraft gekostet. Der Betrugsskandal ist an die Substanz gegangen. Und er war auch nicht gut fürs Klima im Verwaltungsvorstand. Ich bewundere, wie Klaus-Konrad Pesch die ungeheuere Belastung, ein weiteres Dezernat zu übernehmen, ge-stemmt hat.
WZ: Welche Momente würden Sie am liebsten aus Ihren 2010-Erinnerungen streichen?
Birkenkamp: Als die falschen Rechnungen aus dem Hochbauamt enttarnt wurden und plötzlich ein ungeheurer Druck entstand: Sofort handeln zu müssen, aber nicht überstürzt, damit keine Spuren verwischt werden konnten. Schlimm war auch, wie man in den Wochen und Monaten danach versucht hatte, mich unter Druck zu setzen.
WZ: Gab es auch Höhepunkte in 2010?
Birkenkamp: Selbstverständlich. Wir haben viel bewegt. In Ratingen ist einiges gelaufen, von dem andere Städte in der Umgebung nicht einmal zu träumen wagen. Wir senken die Kindergartenbeiträge, haben den Balcke-Dürr-Kindergarten, den Jugendtreff in Tiefenbroich, den Skaterpark in Hösel und sechs Spielplätze eingeweiht. Außerdem: Baustart für die Bezirkssportanlage, für den Jugendtreff in Hösel und die Sanierung der Sportplätze in Breitscheid und Hösel. Nicht zu vergessen die neue Seeterrasse an der Stadthalle oder kulturelle Höhepunkte: Goya- und Nuhr-Ausstellung, Voices-Festival, Zeltzeit.
WZ: Die Wirtschaftsförderung hat wenig von sich reden gemacht. Neuansiedlungen gab es keine.
Birkenkamp: Solche Kracher wie DKV oder Makita kann man nicht jedes Jahr an Land ziehen. Aber für die Immobilie am Markt hat sich ein neuer Investor angeboten. Auch für das Projekt Kirchgasse hat sich ein weiterer Investor gemeldet. Ich denke, beide Vorhaben können im Frühjahr auf den Weg gebracht werden. Auch mit dem Esprit-Outlet geht’s Ende Februar los.
WZ: Ist das Aus für den Vodafone Campus eine persönliche Niederlage?
Birkenkamp: Nein, Vodafone bekennt sich weiterhin zum Standort Ratingen, bleibt größter Arbeitgeber und peilt 200 zusätzliche Mitarbeiter an. Viele Großfirmen hier sind nur Mieter, die muss man gut pflegen.
WZ: Was wird aus dem Vodafone-Gelände in Lintorf?
Birkenkamp: Mal schauen. Es gibt hochinteressante Anfragen. Da ist einiges in Bewegung — mehr möchte ich jetzt nicht sagen.
WZ: Die Rathausplanungen, die Kämmerer Pesch vorgestellt hat: Taugen die ’was?
Birkenkamp: Ich finde diese Visionen sehr charmant und sie können helfen, wieder Bewegung reinzubringen. Durch Aussitzen wird gar nichts gelöst. Zudem hoffe ich, dass in der Politik jetzt wieder Sachlichkeit einkehrt.
WZ: Konnten Sie Ihren Vorsatz für 2010, mehr Zeit für Familie und Enkelin zu haben, einhalten?
Birkenkamp: Nein, ich habe leider sehr viel Zeit mit dem Hochbauamt verbracht, dafür sogar den Herbsturlaub abgesagt. Ich hätte mir mehr Freiraum gewünscht.
WZ: Wo und wie werden Sie das Jahr 2011 beginnen?
Birkenkamp: Gemütlich zuhause mit meiner Frau, Trubel habe ich das Jahr über genug.
WZ: Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen gehen Sie ins neue Jahr — beruflich und persönlich?
Birkenkamp: Ich hoffe, dass ich mir wieder mehr Zeit für die Stadtentwicklung nehmen kann. Der Betrugsfall und das laufende Disziplinarverfahren haben Zeit und Energie gekostet, die ich gerne in die Weiterentwicklung unserer Stadt investiert hätte. Bei den persönlichen Hoffnungen steht natürlich die Gesundheit der Familie an erster Stelle.
WZ: Worauf freuen Sie sich 2011 besonders?
Birkenkamp: Dass die Firmen Makita und DKV ihren Umzug nach Ratingen realisieren, auf die Inbetriebnahme der Bezirkssportanlage und auch auf eine spannende Frauenfußball-WM.
WZ: Ratingen ist. . .
Birkenkamp: . . . lebens- und liebenswert.
WZ: Familie bedeutet für mich. . .
Birkenkamp: . . . Verantwortung, Freude und Rückhalt.